Tausende von IV-Bezügern sollen künftig arbeiten. Doch die grossen Arbeitgeber in der Schweiz sind kaum bereit, Behinderte anzustellen.
Lukas Häuptli
Es steht nicht gut um die Invalidenversicherung (IV): Die Schulden haben sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt und belaufen sich Ende 2010 auf voraussichtlich mehr als 15 Milliarden Franken. Deshalb reiht sich mittlerweile beim Sozialwerk Sanierung an Sanierung: Die nächste trägt den Titel «IV-Revision 6a», wird nächste Woche im Nationalrat behandelt und sieht vor, dass in Zukunft 12'000 bis 17'000 der 244'000 IV-Rentnerinnen und IV-Rentner arbeiten sollen (siehe Kasten). Das führe zu jährlichen Einsparungen von rund 230 Millionen Franken, rechnet das Bundesamt für Sozialversicherungen aus dem Departement von Innenminister Didier Burkhalter (fdp.) vor.
«Integration von Behinderten in den ersten Arbeitsmarkt» nennen das die Fachleute. Nur: Auf dem Arbeitsmarkt zeigen die grossen Arbeitgeber wenig Interesse, entsprechende Stellen anzubieten und IV-Bezüger einzustellen. Das zeigt eine Umfrage, welche Pro Infirmis, die grösste Behinderten-Organisation der Schweiz, bei 35 grossen Arbeitgebern der Schweiz durchgeführt hat. «Das Resultat unserer Umfrage ist mehr als ernüchternd», sagt dazu Mark Zumbühl, Geschäftsleitungsmitglied und Kommunikationschef von Pro Infirmis. «Die Hälfte der befragten Unternehmen hat nicht einmal reagiert. Und diejenigen Firmen, die geantwortet haben, zeigen kaum Bereitschaft, in Zukunft mehr Behinderte zu beschäftigen.»
Keine Sonderbehandlung
Auf die Frage von Pro Infirmis, wie viele Behinderte in den kommenden Jahren eingestellt werden könnten, antworteten beispielsweise die SBB: «Wir müssen davon Abstand nehmen, zusätzliche Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen zu reintegrieren.» Bereits heute seien schätzungsweise 1'500 von total 25'600 Stellen an Behinderte vergeben. Die Post hielt gegenüber Pro Infirmis fest: «Diese Frage lässt sich heute nicht beantworten. Ausserdem sind wir der Meinung, dass wir mit 700 Menschen mit Behinderung bereits heute einen wichtigen Beitrag zu diesem Thema leisten.»
Auch die Schweizer Grossbanken wollen keine speziellen Stellen für IV-Rentner schaffen. «Behinderte Kandidaten stehen in einem normalen Konkurrenzverhältnis zu Kandidaten ohne Behinderung. Für die Besetzung einer Stelle ist ausschlaggebend, ob der Bewerber über die geforderten Fähigkeiten verfügt», antwortete die UBS auf die entsprechende Frage der Pro Infirmis. Und die Credit Suisse schrieb: «Wenn die Fähigkeiten den Stellenanforderungen entsprechen, gibt es keinen Grund, Nichtbehinderte gegenüber Behinderten zu bevorzugen.»
Ruf nach Quoten
Kaum verbindlicher gaben sich Coop und Migros. Sie legten aber Wert darauf, dass bereits heute rund ein Prozent ihrer Mitarbeitenden Behinderte seien. «Arbeitsplätze für IV-Rentnerinnen und IV-Rentner müssen von Fall zu Fall ausgesucht werden. Das macht die Schaffung solcher Stellen nicht einfach», hielt Coop fest.
Die Antworten von anderen grossen Arbeitgebern mit teils mehreren zehntausend Arbeitsplätzen fielen noch weniger konkret aus, etwa diejenigen von Novartis, ABB, Swiss Life oder Schindler. Zahlreiche Grossunternehmen teilten Pro Infirmis mit, sie könnten die Frage nach der Anstellung von IV-Rentnern nicht beantworten (unter anderem Zurich, Bâloise oder Swatch) oder sie reagierten auf die Frage gar nicht erst (etwa Nestlé, Roche, Swiss Re, Swisscom, Axpo oder Sulzer).
Angesichts der Antworten auf die Umfrage sagt Pro-Infirmis-Geschäftsleitungsmitglied Mark Zumbühl: «Das Ziel, 17'000 IV-Rentnerinnen und IV-Rentner in den ersten Arbeitsmarkt zurückzuführen, lässt sich nur mit einer verbindlichen Quoten-Regelung und einem griffigen Bonus-Malus-System erreichen. Deshalb fordert Pro Infirmis für Unternehmen mit mehr als 20 Vollzeitstellen eine Behinderten-Quote von zwei Prozent aller Beschäftigten.»
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Die sechste IV-Revision im Parlament
Der Nationalrat behandelt die «IV-Revision 6a» zur Arbeitsintegration von 12'000 bis 17'000 Behinderten voraussichtlich am nächsten Dienstag. Dabei entscheidet er nicht nur über die Vorlage des Bundesrats, sondern auch über einen Antrag der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK). Diese hat sich im November mit 14 zu 12 Stimmen dafür ausgesprochen, dass in Zukunft Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden mindestens ein Prozent Behinderte beschäftigen müssen. SVP, FDP und auch Teile der CVP lehnen diese Bestimmung ab; der Arbeitgeberverband hat sich ebenfalls dagegen ausgesprochen. Demgegenüber fordern Grüne, SP und Teile der CVP sowie verschiedene Behindertenorganisationen Quoten. Der Ständerat hatte die «IV-Revision 6a» im Juni mit 24 zu 3 Stimmen gutgeheissen. (luh.)
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