Donnerstag, 20. März 2014

Präimplantationsdiagnostik: Wie man das Kind mit dem Bade ausschüttet

Künstliche Befruchtung: Ein Spermium wird in eine Eizelle eingepflanzt (Bild: Eugene Ermolovich, wikipedia)

Ich dachte eigentlich, ich könnte mir ein eigenes Statement zum Thema Präimplantationsdiagnostik (PID) sparen, da die grossen Behindertenorganisationen in diesem Fall ein Paradebeispiel für gute Lobbyarbeit abgeliefert haben und daher zumindest der vollständige Dammbruch (Stichwort: Chromosomenscreening) wahrscheinlich verhindert werden kann. Trotzdem gibt es da noch ein paar Ergänzungen, die ich loswerden möchte:

In meinem erweiterten Bekanntenkreis gibt es eine intellektuell behinderte Frau, die mir nicht speziell sympathisch ist. Wir können einfach nicht gut miteinander. Sie stört sich beispielsweise daran, dass ich hin und wieder ein Liedchen vor mich hinsumme oder mit meinen Fingern herum trommle, während dem ich mich unter anderem daran störe, dass sie mich hin und wieder einfach berührt oder auch mal kneift. Ich weiss, diese Distanzlosigkeit ist bei ihr behinderungsbedingt. Ich mag es trotzdem nicht. Würde mich also jemand fragen, ob mich die gelegentlich mit dieser Frau verbrachte Zeit bereichert, würde ich ganz ehrlich antworten: "Nein, das tut sie nicht." Unsere gemeinsamen, nichtbehinderten Bekannten wissen das und sind glaube ich etwas schockiert darüber. "David, schliesslich ist sie geistig behindert!", findet man einstimmig.

Richtig, sie ist behindert. Das ist eine ihrer Eigenschaften. Und wenngleich diese Eigenschaft ihr Leben wesentlich beeinflusst hat: Es ist eine von vielen. Unsere Behinderungen sind ein Teil von uns - sie definieren uns jedoch nicht. Und weil das so ist, machen sie uns weder zu besseren, noch zu geringeren Menschen. Wer die PID mit der Begründung ablehnt, behinderte Menschen würden unsere Gesellschaft bereichern, macht daher im Endeffekt denselben Fehler wie die Befürworter der PID: Er misst der Behinderung eine Bedeutung für den Wert eines Menschenlebens zu, die viel zu pauschal und weitreichend ist.

Die Erbanlagen eines Embryos sind wahnsinnig komplex. Sie enthalten alle möglichen Veranlagungen. Manche von ihnen enthalten vergleichsweise banale Neigungen, wie z.B. welche Lebensmittel das Kind später potentiell mögen wird. Andere haben einen schwerwiegenden Einfluss auf das Potential der Persönlichkeit und legen beispielsweise fest, ob jemand eher zur Empathie oder eher zur Soziopathie neigt. Doch erst durch die Erziehung und die Interaktion mit dem Umfeld zeigt sich dann, welche dieser Veranlagungen wie stark ausgebildet werden.

Ein unübersichtlicher Haufen Puzzleteile (Bild: alegri, 4freephotos.com)

Die PID schert sich darum aber nicht. Das kann sie auch gar nicht. Das Potential eines Embryos in seiner Gesamtheit zu analysieren und zu schauen, ob alle Veranlagungen in einem vernünftigen Gleichgewicht zueinander stehen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die PID beschränkt sich daher darauf, unter den genetischen "Puzzleteilen" nach einer bestimmten Eigenschaft, wie beispielsweise einem überzähligen 21. Chromosom, zu suchen. Doch was heisst das im Endeffekt?

Es heisst folgendes: Wird ein negativ auf Trisomie 21 getesteter Embryo eingepflanzt, hat das Kind später höchstwahrscheinlich (ganz genau sind diese Verfahren nie) kein Down-Syndrom. Nichts anderes. Es kann sein, dass dieses Kind auch ganz ohne genetisch feststellbare Behinderung Probleme haben wird, sich in der Gesellschaft zurecht zu finden. Es könnte beispielsweise drogenabhängig werden, in die Beschaffungskriminalität abrutschen oder, um auf das vorher erwähnte Beispiel zurückzukommen, keinerlei Mitgefühl besitzen und sich dadurch zuerst langsam zum Tierschänder und letzten Endes zum Gewaltverbrecher entwickeln.

Und würde man auf der anderen Seite einen Embryo einpflanzen, der positiv auf Trisomie 21 getestet wurde (was natürlich niemand tun würde), so hiesse das folgendes: Das Kind hätte später höchstwahrscheinlich das Down-Syndrom. Sonst nichts. Man kann aus einem Down-Syndrom noch nicht einmal zwangsläufig auf eine verminderte Lernfähigkeit schliessen, wie wir Dank Menschen wie Pablo Pineda wissen.

Ich halte die PID daher für ziemlich gefährlich: Sie vermittelt Paaren ein falsches Gefühl von Sicherheit, die Illusion, kein "Problemkind" grossziehen zu müssen. Dieses Risiko besteht aber immer und wer ein Kind in diese Welt setzen möchte, muss sich dessen bewusst sein, sowie der Tatsache, dass er für dieses Kind verantwortlich sein wird und es nicht einfach umtauschen kann. Das Kind ist in den frühen Jahren seines Lebens nur zu einer Sache verpflichtet: Dazu, Kind zu sein. Die Last haben in dieser Zeit die Eltern zu tragen. Die PID kann daran nichts ändern.

Die PID richtet über die "Tauglichkeit" eines potentiellen Menschen einzig aufgrund bestimmter genetischer Eigenschaften und fördert damit genau jenes medizinische, defizitorientierte, inklusionsfeindliche Bild von Behinderung, das seit dem antiken Sparta immer wieder zur Ausgrenzung oder gar Verfolgung behinderter Menschen geführt hat und von der Selbstbestimmt Leben Bewegung seit über vierzig Jahren bekämpft wird.