Samstag, 19. Dezember 2015

Diese PornodarstellerInnen verändern unsere Art über Sex und Behinderung zu sprechen.

"Behinderte Menschen ficken. Das in Pornos nicht zu zeigen, uns nicht auf den Portalen zu integrieren, ist schädlich und nicht authentisch.", sagt der behinderte Sexarbeiter Billy Autumn. Autumns Verfassung wird auf das Ehlers-Danlos-Syndrom zurückgeführt, eine Erbkrankheit, die das Bindegewebe beeinträchtigt. Er arbeitet in einer Branche, von der man nicht unbedingt denkt, dass behinderte Körper darin willkommen sind, aber er ist nicht alleine. Durch die Bemühungen, die Art und Weise zu verändern, wie die Gesellschaft über Sex und Behinderung denkt, werden Sexarbeiter wie Autumn zunehmend sichtbar - und sie verkünden ihren Wunsch nach einer stärkeren Vertretung lautstark.

Die Darsteller, die Mic.com interviewt hat, haben sowohl unsichtbare Einschränkungen, wie beispielsweise Schmerzstörungen oder Gehörverlust, als auch sichtbare Einschränkungen, die sich durch Krücken oder Rollstühle äussern. Die meisten von ihnen sind sich dahingehend einig, dass die Sex-Industrie eine Flexibilität eröffnet, die man in anderen Berufsgattungen kaum findet.

"Gerade wenn man eine Behinderung hat und auf Unterstützungsangebote angewiesen ist, ist es toll, immer noch einen Job zu haben, in dem man machen kann, was man will. Ich kann mir meine Kräfte einteilen.", sagt die Darstellerin Mara Dyne, die Fibromyalgie und somit chronische Schmerzen hat. "Es ist in Ordnung, wenn ich am Tag darauf nichts machen kann, weil es ohnehin kein Job ist, den man jeden Tag macht. Da man sich seine Arbeitsstunden selber einteilen kann, kenne ich doch einige Menschen mit Behinderung, die wegen diesem flexiblen Terminplan auf irgend eine Art in der Sexarbeit tätig sind."

Während dem behinderte Körper von der Gesellschaft üblicherweise ignoriert oder als komplett asexuell angesehen werden, läuft es in der "Alt Porn"-Industrie ganz anders. Es gibt zahlreiche Seiten für "Alt Porn" und "Queer Porn", die ihren Beitrag leisten, in dem sie Darsteller mit verschiedenen Arten von Körpern anheuern.

"Ich kam in einer frühen Phase meiner Geschlechtsangleichung als Fan der Pornoseite "Crash Pad Series" mit dieser Branche in Kontakt und es hat mich wirklich gefesselt.", sagt Maya Mayhem, eine teilpensionierte Transgender-Darstellerin. "Ich sah da wie man Queer, Trans und alle Formen von behinderten Körpern feierte (Es war ohne Zweifel besser als alles, was ich in dieser Zeit gefunden habe) und ich fühlte mich davon stark angezogen."

Doch obwohl DarstellerInnen mit Behinderung in einer Nischenbranche wie der Welt des "Alt Porn" eher willkommen sind als beispielsweise in der Modebranche (kürzlich gab es für das "Interview Magazine" ein kontroverses Foto-Shooting mit der nichtbehinderten Kylie Jenner, die sich in einem Rollstuhl ablichten liess), heisst das nicht, dass die Pornoindustrie die Diversität unserer Gesellschaft perfekt repräsentiert.

Im Mainstream der Porno-Branche werden DarstellerInnen mit Behinderung entweder komplett ignoriert, oder aber in Nischenproduktionen wie Fetisch-Videos angeheuert. In den Siebzigern wurde beispielsweise die amputierte Pornodarstellerin Long Jeanne Silver dafür berühmt, dass sie den Stumpf ihres amputierten Beines für die Penetration benutzte.

Die sichtbar behinderte Queer-Pornodarstellerin Lyric Seal war schon immer in den darstellenden Künsten tätig und kam zum Porno nachdem sie als Erotik-Model tätig war. Seal, eine Rollstuhlfahrerin, sagt, dass der Mainstream der Porno-Industrie Ähnlichkeiten mit Hollywood aufweist, wenn es um die Bereitschaft geht, verschiedenartige Menschen zu zeigen.

"Menschen haben eine Vorstellung davon, welche Art von Körpern die Öffentlichkeit bereit ist zu sehen und für welche Art von Körpern zu sehen sie nicht bereit ist. Und sobald wir über Sex sprechen, sprechen wir auch darüber, welche Art von Körpern die Leute als sexuell wahrnehmen möchten.", sagt Seal. "Wenn wir dazu bereit sind, sie als sexuell anzusehen, in welcher Form müssen wir diese Sexualität dann akzeptieren? Müssen diese Körper fetischistisch dargestellt werden? Müssen sie stereotyp dargestellt werden?"

Seal sagt, dass die fetischistische Darstellung der Behinderung nicht nur schlicht und einfach Teil ihres Berufes ist, sondern auch vollkommen in Ordnung ist - wenigstens solange die Kamera läuft.

"Persönlich habe ich keine Probleme damit, meinen Körper als Fetisch darzustellen. Wirklich nicht. Vor allem als Teil meines Berufes. Ich meine, wenn man Füsse fetischistisch darstellen darf, warum dann nicht auch die Füsse eines Menschen mit Behinderung?" Das ändert sich allerdings ausserhalb des Filmsets: "Wenn ich persönlich mit jemandem interagiere, merke ich, ob ich seine fetischistische Seite anspreche und ich weiss, ob ich damit umgehen kann oder nicht. Und wenn ich damit umgehen kann, liegt das für gewöhnlich daran, dass ich dafür bezahlt werde."

Obwohl sie eine Gesinnungsgenossin der Regisseure des Mainstream-Pornos ist, musste Seal sich abrackern, um im Mainstream-Porno erfolgreich zu sein. "Es ist schon interessant, wenn man sich einen Namen und Aufmerksamkeit im "Queer Porn" und im "Alt Porn" erarbeitet hat und trotzdem niemand ist, der von den regulären Studios zumindest eines zweiten Blickes gewürdigt wird. In gewisser Weise würde ich gerne die Hand nach ihnen ausstrecken und sagen: 'Hey, denkt ihr, dass ihr Platz für meinen Körper habt? Denkt ihr, dass ihr Platz für andere Körper habt, die so sind wie meiner?' Aber das Problem ist eben auch, dass die Produzenten wissen, wie ihre Zuschauer ticken."

Seal sagt, die unzähligen Interview-Anfragen der Medien bezeugt den Mangel an DarstellerInnen mit Behinderung in der Porno-Industrie: "Wenn ich überall herumgereicht werde als die Repräsentantin von Menschen mit Behinderung in der Branche, bedeutet das, dass es zu wenige DarstellerInnen wie mich gibt. Ich bekomme mehr Anfragen für Interviews, als Anfragen für Dreharbeiten."

Andrew Morrison-Gurza von der Aktivisten-Organisation "Deliciously Disabled" stimmt Seal zu. Morrison-Gurza sorgte im Juni für Schlagzeilen, weil er eine Orgie für Menschen mit Behinderung organisiert hat. Als wir ihn danach gefragt haben, wie Menschen mit Behinderung in der Porno-Branche behandelt werden, antwortete er, dass das Problem nicht darin bestehe, dass sie zu selten vorkommen würden, sondern darin, dass "Menschen mit Behinderung in Mainstream-Pornos überhaupt nicht stattfinden. Kulturell bedingt bereitet es uns immer noch immense Probleme, wenn wir einen behinderten Körper in einem sexuellen Kontext sehen."

Wenn man ihm die Möglichkeit geben würde, sagt Morrison-Gurza, würde er selber liebend gerne Pornos drehen. "Es wäre so aufregend, meinen Rollstuhl und meinen behinderten Körper zu sexualisieren, diese ganze Erfahrung jemanden dazu zu bringen, sich auszuziehen, und alle diese Dinge, die auch Menschen mit Behinderung tun, vor laufender Kamera zu tun. Alle diese Dinge könnten Teil der Pornokultur sein."

Seal behauptet, dass wir als Gesellschaft gut daran tun würden, wenn wir über die Sexualität von Menschen mit Behinderung offen sprechen und sie wie als vollwertige, sexualisierte Erwachsene betrachten würden, anstatt als Kinder.

"Eine der Formen von Ableismus, welche Menschen mit Behinderung erleben, besteht darin, dass man sie gegen ihren Willen verkindlicht und von der Gesellschaft auf diese beschissen paternalistische Weise als Schutzbedürftige abstempelt. So als wären wir alle Mündel der Regierung. In vielerlei Hinsicht denkt man über uns, dass wir kraftlose Menschen sind. Menschen, die unmündig sind und nicht entscheiden können.", sagt Seal.

Durch die Sexarbeit, die Porno-DarstellerInnen mit Behinderung leisten, kann die Art, wie wir über Behinderung und Attraktivität sprechen verändert werden, glaubt Morrison-Gurza. Anders als bei einem Foto-Shooting für die Mode-Branche können DarstellerInnen mit Behinderung in Pornos die Gesellschaft dazu zwingen, Menschen mit Behinderung als sexuelle Wesen zu sehen.

"Ich glaube, Menschen ohne Behinderung hat man noch gar nicht die Chance gegeben, Behinderungen als sexy anzusehen. Weil man sie nicht damit konfrontiert, sind sie gar nicht dazu in der Lage, eine Verbindung zwischen Sex und Behinderung herzustellen. Es ist notwendig, ihnen dies auf die netteste mögliche Art vor Augen zu führen, damit sie es als sexy wahrnehmen können.", sagt Morrison-Gurza.

Übersetzt aus dem Englischen von David Siems / Quelle der Nachricht: Mic