Donnerstag, 18. Dezember 2014

#YesAllWomen, aber nicht wirklich: Wie der Feminismus Frauen mit Behinderung aussenvorlässt

Vorwort des Übersetzers


Unter dem Hashtag #YesAllWomen posten seit einigen Monaten US-amerikanische Twitter-Nutzerinnen Beispiele von Frauenfeindlichkeit und gegen Frauen gerichtete Gewalt. Es handelt sich gewissermassen um das US-Gegenstück zur deutschsprachigen #Aufschrei-Kampagne.

Als nun aber die US-amerikanische SL-Aktivistin Stephanie Woodward versuchte, Gewalt gegen Frauen mit Behinderung zum Thema zu machen, stiess sie damit auf viel Ablehnung. Eine interessante Kontroverse über Feminismus und Frauen mit Behinderung, von der wir nur lernen können, da sie hierzulande genauso gut hätte stattfinden können.

#YesAllWomen, aber nicht wirklich: Wie der Feminismus Frauen mit Behinderung aussenvorlässt


Unbeabsichtigt oder nicht: Der moderne Feminismus schliesst seine behinderten Schwestern aus der Diskussion aus.

Mit viralen Hashtags wie #SolidarityIsForWhiteWomen oder #DropDunham ist es für Aktivistinnen einfacher denn je, endlich Fortschritte gegen die traditionell auf weisse, heterosexuelle, nichtbehinderte Cisgender-Frauen beschränkte Loyalität des Feminismus' zu machen.

Nach dem Amoklauf in Isla Vista, Kalifornien im Mai diesen Jahres, Antwortete die Netzgemeinschaft mit tausenden von Tweets, die unter dem Hashtag #YesAllWomen klarmachten, dass jede Frau in ihrem Alltag mit Belästigungen und Diskriminierung konfrontiert wird. Doch trotz der zahlreichen Erfolge der Kampagne, wurde auch deutlich, dass der Hashtag #YesAllWomen wirklich nur für einige Frauen da ist.

Als Stephanie Woodward über #YesAllWomen bloggte, freute sie sich darauf, sich der Bewegung anzuschliessen und ihre eigenen Lebenserfahrungen als Frau mit Behinderung zu teilen. Sie hätte nie gedacht, dass ihr Post ihr zahlreiche feindselige Nachrichten von Aktivistinnen einbringen würde, in denen man sie dafür beschimpfte, dass sie versuchen würde "vom wahren Problem abzulenken" und die Kampagne für das Thema Behinderung zu missbrauchen.

"Ich wusste nicht, dass man vom 'echten Problem', was immer das heissen soll, ablenkt, wenn man über die Gewalt spricht, die Frauen mit Behinderung erfahren.", sagt Woodward. "Zählen Frauen mit Behinderung nicht als Frauen? Sind wir nicht Teil der weiblichen Bevölkerung?"

Woodwards Erfahrung ist - leider - kein Einzelfall. Feministinnen mit Behinderung sagen, dass ihre Stimmen nicht gehört werden und das ist sehr, sehr gefährlich. Warum? Weil Frauen mit Behinderung einer der am stärksten von Gewalt bedrohten Personengruppen der Welt darstellen. Gemäss der "National Coalition Against Domestic Violence" haben niederschmetternde 80% der Frauen mit Behinderung sexuelle Gewalt erlebt. Bei Frauen mit intellektueller Behinderung ist der Prozentsatz sogar noch höher. Für Frauen mit Behinderung ist das Risiko, gewalttätig behandelt zu werden, im Allgemeinen um 40% höher, als für Frauen ohne Behinderung. Bei den Tätern handelt es sich für gewöhnlich um ihre männlichen Partner, oder aber um Pflegepersonal oder Familienmitglieder.

Eine Ursache für das Problem, dass Frauen mit Behinderung nicht am Feminismus teilhaben können, ist fehlende Barrierefreiheit. Zu oft handelt es sich bei den Orten, an denen sich lokale Feministen-Gruppen treffen, um Kaffestuben, die sich in einem Obergeschoss ohne Lift befinden oder aber um gut besuchte Bars ohne Induktive Höranlage, was jede Frau mit einer körperlichen Abweichung wirkungsvoll ausschliesst. Meistens handelt es sich bei dem Problem um eine Kostenfrage: Im schwer zugänglichen Pub kann sich die Gruppe kostenlos treffen, während dem ein komplett barrierefreies Sitzungszimmer teuer gemietet werden müsste.

Aber wenn es nicht an der Barrierefreiheit scheitert, ist es ein Mangel an Empathie oder Verständnis, welcher Frauen mit Behinderung ausschliesst. Im Kommentar-Bereich eines Artikels auf "The F-Word", einer feministischen Webseite aus dem Vereinigten Königreich, bestätigen verschiedene Userinnen, dass man es als Frau mit Behinderung unnötig schwer hat, wenn man sich für Frauenrechte engagieren möchte. Eine der Userinnen berichtet dort, dass die Räumlichkeiten ihrer örtlichen Gruppe zwar barrierefrei sind, die Tatsache, dass ihr persönlicher Assistent sie bei den Treffen unterstützen muss, aber für Probleme sorgt. "Mein Lebensgefährte ist mein Assistent und ich bin in den meisten Situationen auf seine Begleitung angewiesen.", schreibt sie. "Jede örtliche Feministen-Gruppe, die ich bis jetzt gefunden habe, darf ausschliesslich von Frauen besucht werden. Wenn mein Assistent nicht teilnehmen kann, kann ich auch nicht teilnehmen und das war's dann... Ich verstehe zwar diese Restriktion, gleichzeitig denke ich aber, dass sie sich etwas flexibel zeigen sollten, wenn es um Frauen mit Behinderung geht.

Dieser Mangel an Verständnis, den so viele Mainstream-Feministinnen zeigen, kann sogar in die radikalste Form von Abweisung übergehen, mit der Frauen mit Behinderung konfrontiert sind: Ableismus (Behindertenfeindlichkeit). "Wenn es um das Thema Mehrfachdiskriminierung geht, scheinen viele Feministinnen einfach zu vergessen, dass Behinderung und Ableismus Themen sind, mit denen auch sie sich befassen sollten.", sagt Elsa S. Henry, die den bekannten Blog Feminist Sonar betreibt. Henry sagt, sie sei aktiv aus feministischen Diskussionen hinausgedrängt worden, nachdem sie die Gegenwart von behindertenfeindlichen Tendenzen aufgezeigt habe. Das ist nicht überraschend, bedenkt man die Zahl der Feministinnen in der Pop-Kultur, die sich selber an behindertenfeindlichem Verhalten beteiligen. So verlor beispielsweise die englische Autorin und Kritikerin Caitlin Moran einige Fans, nachdem sie ihrem Teenager-Ich in ihrer Autobiographie die "freudvolle Überschwänglichkeit einer Zurückgebliebenen" attestierte. Sie gab darin auch stigmatisierende Kommentare über transsexuelle Menschen und Intersektionalität im Allgemeinen zum besten.

"Wenn sich Feministinnen an behindertenfeindlichen Vorbildern orientieren und sich der Einsicht verweigern, dass die Art, wie sie Menschen mit Behinderung behandeln falsch ist, untergraben sie damit die Fähigkeit behinderter Feministinnen, sich wirksam zu engagieren.", sagt Henry.

Der Konflikt wird besonders angeheizt, wenn Feministinnen mit Behinderung sich mit dem Thema Reproduktive Rechte auseinandersetzen. - Eines der wichtigsten Themen des Mainstream-Feminismus'. Zwar war die Mehrheit der behinderten Aktivistinnen mit denen ich gesprochen habe, für das Recht auf Abtreibung (Pro-Choice), aber einige der Argumente, mit denen Feministinnen die Legalisierung von Abtreibungen begründen, lösten in ihnen einen schwerwiegenden inneren Konflikt aus. "Jedes Mal, wenn die Abtreibungspolitik in den Medien thematisiert wird, bringt unweigerlich irgendjemand das Argument, dass Abtreibung legalisiert werden sollte, damit Frauen ihre behinderten Babies abtreiben können.", sagt Henry.

"Die reproduktiven Rechte stellen ein komplexes Thema für Menschen mit Behinderungen dar.", sagt Allie Cannington, SL-Aktivistin und Mitbegründerin des Projektes #DisabilitySolidarity. "Obwohl Behindertenrechtler und Aktivisten ihre Arbeit auf dem Prinzip der Selbstbestimmung und körperlichen Autonomie begründen, Ist es doch... verzwickt, wenn es immer noch zu Abtreibungen kommt, die einzig und allein dazu dienen, den Fötus aufgrund einer Behinderung zu eliminieren."

Das Selbe gilt für Zwangssterilisierungen von Frauen mit Behinderung, welche weitaus gängiger sind, als den Leuten bewusst ist. "Du wirst niemals irgendeine Frau - irgend eine Feministin - sagen hören, 'Ja, es geht in Ordnung, wenn Eltern ihre Tochter zu einer Sterilisation zwingen.'", sagt Woodward. "Aber wenn diese Tochter eine Behinderung hat, dann heisst es bei so vielen Menschen plötzlich, 'Naja, wissen Sie, dafür wird es schon einen guten Grund geben,' oder 'Ich kann verstehen, warum so etwas passieren könnte.' Das löst nicht das gleiche Ausmass an Empörung aus."

Es gibt derzeit allein in den Vereinigten Staaten mehr als 27 Millionen Frauen mit Behinderung - und ihre Zahl wächst. Jeder kann sich jederzeit eine Behinderung zuziehen und das Unrecht, das Frauen mit Behinderung widerfährt, ist Unrecht, das auch Ihnen eines Tages wiederfahren könnte.

"Nichtbehinderte Feministinnen sollten über ihr Privileg und ihre Behindertenfeindlichkeit nachdenken und den Worten von Frauen mit Behinderung Beachtung schenken.", sagt Caitlin Wood. "Weil wir hier sind und wir immer hier waren und um uns um die Aufmerksamkeit der Menschen bemühen."

Übersetzt aus dem Englischen von David Siems / Quelle der Nachricht: thedailybeast.com

Siehe auch: #YesAllWoman betrifft auch Frauen mit Behinderung

#YesAllWoman betrifft auch Frauen mit Behinderung

Vorwort des Übersetzers


Unter dem Hashtag #YesAllWomen posten seit einigen Monaten US-amerikanische Twitter-Nutzerinnen Beispiele von Frauenfeindlichkeit und gegen Frauen gerichtete Gewalt. Es handelt sich gewissermassen um das US-Gegenstück zur deutschsprachigen #Aufschrei-Kampagne.

Als nun aber die US-amerikanische SL-Aktivistin Stephanie Woodward versuchte, Gewalt gegen Frauen mit Behinderung zum Thema zu machen, stiess sie damit auf viel Ablehnung. Eine interessante Kontroverse über Feminismus und Frauen mit Behinderung, von der wir nur lernen können, da sie hierzulande genauso gut hätte stattfinden können.

#YesAllWoman betrifft auch Frauen mit Behinderung


Häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe und Rape Culture haben in letzter Zeit sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, besonders durch den Hashtag #YesAllWomen, der eine ernstzunehmende Eigendynamik entwickelt hat. Ich bin froh, dass sich diese Themen gerade jetzt auf dem gesellschaftlichen Radar befinden, denn als Verfechterin für ein Ende von häuslicher Gewalt und Rape Culture beschäftige ich mich damit täglich.

Auch als Frau beschäftige ich mich damit täglich. Jeden Tag treffe ich Vorkehrungen, um mich vor sexuellen Übergriffen zu schützen, die sich die meisten Männer nicht einmal vorstellen können. Jeden Tag muss ich mich mit Aussagen und Verhaltensweisen auseinandersetzen, die die Rape Culture aufrechterhalten.

Also ja, als Frau und als Juristin bin ich froh.

Aber als Frau mit Behinderung und als Verfechterin für ein Ende von gegen Frauen mit Behinderung gerichteter häuslicher Gewalt bin ich enttäuscht.

Ich bin enttäuscht, denn diese Diskussionen über die Beendigung der Gewalt, das stoppen der Übergriffe, die Ermächtigung von Frauen und das ganze Gewäsch haben Frauen mit Behinderung niemals eingeschlossen.

Das ist ein riesiges Problem.

Warum?

Naja, das hat viele Gründe, hier ein paar Beispiele:

- Frauen mit Behinderung tragen ein mindestens doppelt so hohes Risiko, Opfer von häuslicher Gewalt und sexuellen Übergriffen zu werden, als Frauen ohne Behinderung.

- Frauen mit Behinderung erfahren Missbrauch, welcher länger andauert und schwerwiegender ist, als Frauen ohne Behinderung.

- Frauen mit Behinderung zeigen häusliche Gewalt oder sexuelle Übergriffe seltener an. Ungefähr 70% bis 85% der gegen Menschen mit Behinderung gerichteten Missbrauchsfälle werden niemals angezeigt.

- Studien besagen, dass 80% der Frauen mit Behinderung sexuelle Übergriffe erlebt haben.

- Eine Studie hat gezeigt, dass 47% der sexuell missbrauchten Frauen mit Behinderung mehr als zehn verschiedene Übergriffe gemeldet haben.

- Eine andere Studie hat aufgedeckt, dass nur 5% der angezeigten Verbrechen gegen Menschen mit Behinderung strafrechtlich verfolgt wurden, während dem es bei gegen Menschen ohne Behinderung gerichteten Verbrechen 70% waren.

- Frauen mit Behinderung werden oft als schwach, unerwünscht oder asexuell wahrgenommen, was uns besonders anfällig für sexuelle Gewalt macht.

- Einige Täter haben angegeben, dass sie ihren behinderten Opfern mit der Vergewaltigung, bzw. dem sexuellen Übergriff einen Gefallen getan haben, weil sonst niemand Sex mit uns haben würde, dass wir nicht auf anderen Wegen Sex haben könnten oder aber sie haben uns noch nicht einmal als menschliche Wesen betrachtet.

- Missbrauch hat einen schwerwiegenderen Einfluss auf die Selbstachtung von Frauen mit körperlicher Behinderung als auf Frauen ohne Behinderung.

- Viele Frauen mit Behinderung haben geringere finanzielle Mittel zur Verfügung, was ihr Risiko missbraucht zu werden ebenfalls erhöht.

- Frauen mit Behinderung sind konfrontiert mit begrenzten Möglichkeiten aus einer Missbrauchs-Situation zu entkommen und Zugang zu Programmen für misshandelte Frauen zu finden.

- Frauen mit Behinderung sind auch Frauen. Unsere Stimmen, Gedanken, unsere Körper und unsere Leben sind von Bedeutung.

Ich könnte damit fortfahren, Fakten für Sie aufzuzählen, aber dann würde ich noch die ganze Nacht hier sitzen. Nein, ich würde noch Jahre hier sitzen. Der Punkt ist, dass Frauen mit Behinderung Frauen sind. Wir sind Menschen. Wir sind sexuelle Wesen. Und wir erleben häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe und wir erleben das alles viel häufiger als irgend eine andere Gruppe.

Aber niemand spricht über uns. Niemand spricht mit uns.

Probleme werden nicht gelöst, wenn niemand von der Existenz dieser Probleme weiss. Dadurch, dass wir nicht gegen die Gewalt, die Frauen mit Behinderung widerfährt, Stellung beziehen, ignorieren wir sie im Grunde genommen.

Nein, wir tun mehr, als sie zu ignorieren. Wir billigen sie.

Wenn Frauen ohne Behinderung sich nicht erheben, um über den Missbrauch von Frauen mit Behinderung zu sprechen und ihn zu beenden, so billigen sie diesen Missbrauch. Genauso, wie Männer die Rape Culture billigen, wenn sie sich nicht erheben, um darüber zu sprechen und ihr ein Ende zu setzen.

So wie Vergewaltigung und häusliche Gewalt kein reines Frauenproblem ist, sind auch Vergewaltigung und häusliche Gewalt gegen Frauen mit Behinderung nicht nur ein Problem von Frauen mit Behinderung. Beides sind gesellschaftliche Probleme. Die Gesellschaft muss das in Ordnung bringen. Männer und Frauen - Mit und ohne Behinderung - müssen zusammen an diesen Problemen arbeiten.

Also los, sprechen wir über häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe gegen Frauen mit Behinderung, denn #YesAllWomen bezieht sich auch auf Frauen mit Behinderung.

Übersetzt aus dem Englischen von David Siems / Quelle der Nachricht: Ms. Wheelchair Florida 2014

Siehe auch: #YesAllWomen, aber nicht wirklich: Wie der Feminismus Frauen mit Behinderung aussenvorlässt

Sonntag, 14. Dezember 2014

Grossbritannien: Jetzt ist es amtlich: Das Workfare-System der Konservativen hilft nicht bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt.

Junge Arbeitssuchende, die dazu gezwungen wurden 13 Wochen lang unbezahlt zu arbeiten haben keine besseren Chancen am Ende einen Job zu bekommen, als diejenigen, die die Teilnahme am Workfare-Programm verweigern.

Der britische Arbeitsminister Iain Duncan Smith möchte sein Workfare-System im ganzen Land etablieren, aber eine Untersuchung des in London angesiedelten Probelaufes zeigt, dass es nicht viel nützt.

Nur 25% jener Leute, die das Workfare-Programm komplett durchlaufen haben, finden danach einen Job

Das Workfare-System zwingt junge Leute mit weniger als sechs Monaten Berufserfahrung dazu, bei einem 13 wöchigen Workfare-Programm mitzumachen, um Arbeitslosengeld beanspruchen zu können. Es wird angenommen, dass junge Leute in dieser Zeit ihre Arbeitsfähigkeiten verbessern können, aber wie dieser Bericht zeigt, zahlen sich Workfare-Platzierungen für die Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt nicht notwendigerweise aus.

Nur ein Viertel jener Leute, die ein 13 wöchiges Workfare-Programm komplett durchlaufen haben, finden danach einen Job. Die Mehrheit von ihnen hat in gemeinnützigen Brockenstuben gearbeitet.

Von denjenigen, die sich nicht am Workfare-Programm beteiligt haben, fanden 44% einen Job. Sogar diejenigen, die ihr 13-wöchiges Workfare-Programm vorzeitig abgebrochen haben, kamen besser weg: 60% von ihnen haben eine Anstellung gefunden. Die Untersuchung gibt nicht im Detail wieder, warum die Leute das Programm abgebrochen haben, aber es ist anzunehmen, dass einige von ihnen es getan haben, weil ihre Stellensuche erfolgreich war.

Ältere, erfahrenere Jugendliche haben unabhängig davon, ob sie an Workfare-Programmen teilgenommen haben oder nicht, Arbeit gefunden.

Eine wichtige Feststellung der Untersuchung besteht darin, dass die älteren, 21- bis 24-Jährigen Arbeitslosen unter den Jugendlichen, welche bereits etwas Berufserfahrung vorweisen können, bessere Chancen auf einen nachhaltigen Wiedereinstieg in die Arbeitswelt haben - unabhängig von der Beteiligung an Workfare-Programmen.

Alles in allem haben 45% der Leute, die bei einem Workfare-Programm angefangen haben, einen Job gefunden. 44% jener Leute, die die Teilnahme an einem solchen Programm von Anfang an verweigert haben, haben ebenfalls Jobs gefunden. - Ja, da gibt es eine Differenz, aber sie beträgt lediglich 1%.

Das Scheitern dieses Probelaufs ist ein schwerer Schlag für die Politik der Konservativen

Das Workfare-Programm "Day One Support for Young People Trailblazer" der Regierung lief ab November 2012 während acht Monaten. Aber Evaluationsbericht und Analyse des Arbeits- und Rentenministeriums wurden erst letzten Monat veröffentlicht - und stellen nicht gerade eine uneingeschränkte Vertrauensbekundung dar.

Die Resultate wurden zuerst auf politics.co.uk journalistisch aufgearbeitet, wo Adam Bienkov feststellte: "neither City Hall nor the DWP seem very keen to highlight the findings of this report, with no mention at all to be found on City Hall's website in the past month." Deutsch: "Weder das Londoner Bürgermeisteramt, noch das Arbeitsministerium scheinen besonders scharf darauf zu sein, die Ergebnisse dieser Untersuchung ins Rampenlicht zu setzen, da sie auf der Webseite der Stadt London im letzten Monat mit keinem Wort erwähnt wurden."

Die Statistiken stammen aus einer unabhängigen Analyse von TNS BMRB, einem renommierten britischen Marktforschungsinstitut.

Die Hälfte der jungen Arbeitssuchenden verweigerten die Teilnahme und wurden sanktioniert

Fast die Hälfte (47%) der arbeitslosen jungen Leute, denen die 13 Wochen unbezahlte Arbeit angeboten wurden, haben nicht teilgenommen. Sie haben sich entweder von vornherein dazu entschlossen, auf ihr Arbeitslosengeld zu verzichten, oder sind am ersten Tag ihres Einsatzes einfach nicht aufgetaucht und wurden mit Sanktionen bestraft.

In einem Fall wurde ein Nicht-Starter mit Sanktionen bedroht, als er am ersten Tag seines Workfare-Einsatzes nicht erscheinen konnte, weil er ein Vorstellungsgespräch hatte! "Es war ein Bisschen merkwürdig", erzählte er den Interviewern von TNS, "Ich musste am nächsten Tag zu einem Vorstellungsgespräch und die haben mir gesagt, ich müsse absagen, oder man würde mich bestrafen."

Von den meisten jungen Leuten wurde erwartet, dass sie ihr Workfare-Programm innerhalb von zwei Tagen beginnen

Die Hälfte der Befragten empfanden den Start des Programmes als zu kurzfristig und zwei Drittel empfanden den Zeitaufwand (30 Stunden pro Woche, lange Pendelzeiten nicht mit einberechnet) als so gross, dass er für die Suche nach bezahlter Arbeit hinderlich gewesen sei.

"Ich habe keine Zeit, um mich für Stellen zu bewerben"

Ein Antragsteller, der das 13-wöchige Programm abgeschlossen hat, meinte: "Während dem Programm hatte ich keine Zeit mich für Stellen zu bewerben, weil ich darauf fokussiert war, früh genug aufzustehen und zur Arbeit zu gehen. Und als ich abends nach Hause kam, war ich viel zu müde... Das hat meine Chancen auf einen Job verringert."

Mehr als die Hälfte derjenigen, die zu einem Workfare-Anbieter kamen, hatten das Gefühl, dass ihre Platzierung nicht zu ihnen passte.

Aber das Arbeitsministerium denkt immer noch, dass es funktioniert

Aber die Auswirkungseinschätzung des Arbeits- und Rentenministeriums kam zum Schluss, dass das Workfare-Programm die Zahl der Antragssteller unter den 18 bis 24-Jährigen um 11% reduziert hat. Ausserdem sei die Beschäftigungsquote bei den jungen Leuten während acht Wochen um atemberaubende 0,8% gestiegen. So that's alright then.

Datenquelle: Evaluation of the "Day One Support for Young People Trailblazer", United Kingdom - Department for Work & Pensions

Übersetzt aus dem Englischen von David Siems / Quelle der Nachricht: mirror.co.uk

Siehe auch: Stichwort "Workfare" auf selbstbestimmung.ch

Montag, 8. Dezember 2014

Mark Zumbühl, Pro Infirmis: "Wir hätten keinen Einfluss mehr nehmen können"



Im Zusammenhang mit der aktuellen Kampagne "#IchBinLeer" der Pro Infirmis, tauchte von verschiedenen Seiten her die Frage auf, warum die PI dabei nicht mit der auf das Thema psychische Krankheiten spezialisierten Stiftung Pro Mente Sana zusammengearbeitet habe. Mark Zumbühl, Mitglied der Geschäftsleitung  der Pro Infirmis, nimmt dazu wie folgt Stellung:

"Wir wurden im Frühjahr 2014 von PMS angefragt, ob wir uns an der Kampagne "Wie geht's dir" beteiligen wollen. Damals lag die PMS-Kampagne aber bereits pfannenfertig vor, sodass wir keinen Einfluss mehr hätten nehmen können, sondern uns nur noch am millionenschweren Budget hätten beteiligen können. Die erwähnte Kampagne entspricht aber nicht der Kampagnenkultur von Pro Infirmis, weshalb wir uns entschieden haben, uns nicht daran zu beteiligen. Überdies hatten wir zu diesem Zeitpunkt (Frühjahr 2014) bereits entschieden, auf den 3.12. eine eigene Kampagne zum Thema Psychische Behinderung zu starten. PI startet traditionsgemäss ihre Kampagnen immer am 3. Dezember (Int. Tag der Menschen mit Behinderung). Die Vorwürfe, wir wollten PMS das „Wasser abgraben“ (Kritik-O-Ton) in diesem Thema sind absurd."

Zum Vorwurf, die Pro Infirmis habe sich bislang kaum um die Belange von Menschen mit psychischer Behinderung gekümmert, sagt Zumbühl:

"Pro Infirmis führte 2005 schweizweit die Sozialberatung für Menschen mit psychischen Behinderungen ein. Später baute PI das Angebot in Richtung von finanzieller Direkthilfe und begleitetem Wohnen für diese Betroffenen  aus. Zudem ist Pro Infirmis Dachorganisation weiterer regionaler Anbieter wie PSAG in Basel oder der Traversa in Luzern. Im laufenden Jahr beträgt der Anteil der psychisch Behinderten Menschen  in der Arbeit von Pro Infirmis rund 30 %. Das heisst, jede dritte Person mit einer Behinderung  in unserer Beratung, Begleitung und Unterstützung  ist von einer psychischen Behinderung betroffen. Nachzulesen im Jahresbericht, der auf www.proinfirmis.ch aufgeschaltet ist.

Wir arbeiten überdies mit PMS eng zusammen, so zum Beispiel in einem Dokumentarfilm-Projekt mit dem Arbeitstitel „Psychische Erschütterung“, der im Herbst 2015 erscheinen wird.

Wir haben uns vor der Umsetzung unserer Kampagne intensiv mit Betroffenen und Fachleuten unterhalten, wie es sich für die grösste Fachorganisation im Thema Behinderung gehört. So ist der Monolog im Film eine praktisch 1:1-Wiedergabe von Aussagen eines schwer depressiven Mannes."

Zum Mailverkehr mit Marie Baumann von ivinfo hält Mark Zumbühl, alias "Herr X" fest:

"Ich habe grundsätzlich keine Probleme mit Kritik, c’est le ton, qui fait la musique."

Siehe auch:

Die neue Kampagne von Pro Infirmis (Pressemitteilung Pro Infirmis zum Kampagnen-Start)

Ein depressiver Zombie soll für Pro Infirmis die Marke stärken und die Kasse klingeln lassen (Kritik von ivinfo)

Kampagne "Wie geht's Dir?" (Hauptträger: Pro Mente Sana & Kanton Zürich)