Donnerstag, 16. Februar 2017

Behindert, gemieden und zum Schweigen gebracht in Trumps Amerika

Ich bin eine Frau. Ich bin körperlich behindert. Und ich war noch nie so beunruhigt wie jetzt.

Ich sass da und starrte auf den Bildschirm meines Computers als die Worte "Seite nicht gefunden" auf der Website des Weissen Hauses auftauchten.

Ich fühlte mich, als hätte man mir gerade in den Bauch geboxt, als ich begriff, dass die Unterseite zum Thema Behinderung im Nachgang der Amtseinführung entfernt wurde. Nur zwölf Stunden zuvor, nachdem Trump den Amtseid abgelegt hatte, sprach er ich seiner Antrittsrede davon, das amerikanische Volk zu ermächtigen: "Die heutige Zeremonie hat eine ganz besondere Bedeutung. Denn heute übertragen wir nicht einfach nur die Macht von einer Verwaltung an eine andere, oder von einer Partei an eine andere. Wir übertragen die Macht von Washington D.C. zurück an euch, das amerikanische Volk."

Das ist jedoch nicht das, was ich gehört habe, als ich in dieser Nacht auf meinen Bildschirm gestarrt habe, zornig und mit dem Gefühl, besiegt worden zu sein. Was ich in meinem Kopf gehört habe, war diese kleine Stimme, die da schon mein ganzes Leben lang sitzt. Es ist diese Stimme, die versucht, an mir zu zehren und mich dazu zu bringen, an mir selbst zu zweifeln. Es ist die Stimme, die mich dazu gebracht hat, meinen Selbstwert in Frage zu stellen und meinen Platz in der Gesellschaft.

"Du bedeutest nichts."

"Du bist es nicht wert."

"Du bist keine Person."

In seinem Wahlkampf und bis jetzt auch in seiner Präsidentschaft, war genau das Trumps Botschaft an mich. Und das ist nicht in Ordnung. (Eine Suche nach "Americans with Disabilities Act" auf der Website des Weissen Hauses lieferte keine Treffer. Ich erhielt die Empfehlung, weniger oder allgemeinere Stichworte zu verwenden. Das hat auch nichts gebracht. Eine archivierte Version der Unterseite über Behinderung zu Zeiten der Obama-Administration kann hier gefunden werden.)

Ich habe Leute sagen gehört: "Naja, die Trump-Administration führt wohl gerade Updates an der Website durch. Alle diese Unterseiten werden bald wieder online sein." Vielleicht stimmt das ja, aber ist das wirklich der Punkt? Das zu wissen hat diese Entdeckung nicht weniger beissend für mich gemacht.

Wie wir wissen, hat der Präsident nicht nur einen kompletten Mangel an Bewusstsein für Behindertenrechte und der wichtigen Rolle gezeigt, die Menschen mit Behinderung in einer inklusiven Gesellschaft spielen können. Er war uns gegenüber herablassend und grob. Wir alle wissen, wie er das körperliche Erscheinungsbild des Times-Reporters Serge Kovaleski verspottet hat. Ebenso wissen wir, dass er die wahre Bedeutung des Vorfalls leugnet und sich weigert, sich zu entschuldigen. Über Themen, die uns Menschen mit Behinderung betreffen, haben wir seitdem gar nichts mehr von ihm gehört.

Auch wenn ich nicht für Kovaleski sprechen kann, so glaube ich doch, mich mit ihm identifizieren zu können. Ich kam mit dem Freeman-Sheldon-Syndrom zur Welt, einer genetisch bedingten Muskel- und Knochenkrankheit und hatte in meinen Teenager-Jahren schon 26 Operationen hinter mir. Auch ich habe am College im Hauptfach Journalismus studiert und als Reporterin gearbeitet. Es gab Zeiten, in denen hat es sich angefühlt, als würde mein Rollstuhl alles an mir überschatten und es gab Zeiten, da fühlte ich, dass die Person auf der anderen Seite des Interview-Tisches bei unserem ersten Treffen verblüfft war. Ich hasse es mir vorzustellen, dass Trumps Verhalten gegenüber einem Reporter-Kollegen auch nur ansatzweise widerspiegelt, wie die Menschen über die Behinderten-Community denken.

Aufgrund meines Zustands habe ich mich mein Leben lang übersehen, ausgegrenzt und unterschätzt gefühlt. Ich habe Leute getroffen, die einzig anhand meines Aussehens über meine Fähigkeiten geurteilt haben. Es gab Leute, die miteinander über mich gesprochen haben - oder schlimmer, die meinen Begleitern Fragen über mich gestellt haben, als wäre ich gar nicht anwesend, weil sie angenommen haben, ich könne nicht sprechen. Wenn die sich die Zeit genommen hätten, mich kennen zu lernen, so hätten sie einiges lernen können - beispielsweise, dass ich das College mit Auszeichnung abgeschlossen habe, dass ich mir ein Diplom in Journalismus erarbeitet habe und dass ich fast zehn Jahre lang als Bloggerin und Freelancer-Autorin gearbeitet habe.

Wenn ich direkt mit Trump sprechen könnte, würde ich ihm Folgendes sagen: Worte bedeuten etwas. Worte haben Macht. Jedes Mal wenn du den Mund aufmachst, übst du Macht aus. Und egal ob du das anerkennst oder nicht, trägst du die Verantwortung diese Worte bedächtig und weise zu wählen und dabei an die Interessen der Menschen zu denken. Wer sie verletzend oder herabwürdigend wählt, wird gewisse US-BürgerInnen verletzen. Diese Wunden werden länger nachwirken als irgendeine Pressekonferenz oder eine markige Parole. Das Internet vergisst nie.

Es ist das Jahr 2017 und die Behindertenbewegung hat es weit gebracht. Und dennoch fühle ich mich manchmal, als ob wir noch in den 50ern leben würden. Ich mühe mich oft ab, einen Weg zu finden, das in Ordnung zu bringen. Ich weiss, dass wir damit beginnen müssen, die Art zu verändern, wie die Gesellschaft Menschen mit Behinderung wahrnimmt. Wir dürfen nicht länger als Introvertierte angesehen werden, die nicht fähig sind, für sich selbst zu sorgen. Mehr und mehr von uns sind da draussen in der Welt, proklamieren unsere Würde, fordern unsere Grundrechte ein - kurzgesagt: Leben unser Leben. Am wichtigsten ist, dass wir nicht verschwinden werden. Da wir ca. 20% der Bevölkerung ausmachen, wird es immer schwieriger, uns einfach zu übersehen.

Auch wenn ich das bereits geschrieben habe, muss ich es wiederholen: Was Trump getan hat ist die schlimmste Art von Mobbing, die man Menschen antun kann: Werturteile über sie zu fällen. Ich denke über junge Menschen mit Behinderung nach. Hat sich Trump irgendwelche Gedanken über die gemacht? Was ist mit dem Teenager mit Behinderung, der jeden Tag in der Schule gemobbt wird? Was ist mit dem Kind, das mehr Zeit im Krankenhaus verbracht hat, als auf dem Spielplatz? Was ist mit der jungen Frau, die mit ihren Minderwertigkeitskomplexen kämpft, die verzweifelt versucht, sich mit ihrer Behinderung zu arrangieren? Wenn Spott und Mobbing von der Gesellschaft akzeptiert werden, werden verletzliche Menschen mit Behinderung vielleicht irgendwann glauben, dass sie das verdient haben. Ich weiss aus Erfahrung, dass das eine gefährliche Botschaft ist, die da ausgesendet wird.

Die Wahrheit ist: Ich bin besorgt. Ich fürchte mich davor, bald in einem Land zu leben, in dem man Menschen mit Behinderung aus dem Weg geht, so als würden sie nicht existieren. Ich fürchte mich davor in einem Land zu leben, deren Gesellschaft diese Art von Botschaft vermittelt und denkt, das sei total in Ordnung. Denn ist es ist definitiv nicht in Ordnung und wird auch niemals in Ordnung sein.

Wenn Trump sich wirklich darum scheren würde, wie er den Menschen ihre Macht zurückgeben kann, dann würde er sich mit Mitgliedern der Behindertenbewegung zusammensetzen und zuhören - wirklich zuhören - was sie für Sorgen haben und wie ihre Vorschläge für die Zukunft lauten.

Mein Mantra lautete immer "Ich bin eine Person" und das war niemals wahrer als jetzt. Ja, ich bin eine Person. Ich bedeute etwas. Menschen mit Behinderung bedeuten etwas. Ich werde niemals damit aufhören, für unsere Rechte und gegen Mobber zu kämpfen. Ich werde niemals keine Person sein. Ich hole mir meine Macht zurück und ich möchte, dass Präsident Trump das weiss.

Übersetzt aus dem Englischen von David Siems / Quelle der Nachricht: The New York Times

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen