Sonntag, 20. Oktober 2013

Behindert und verliebt - «Schweiz aktuell» inszeniert den Menschenzoo


TV-Kritik von Michael Furger 

Bettina und Claude sind verliebt. Sie küssen sich mit spitzem Mund, lesen gemeinsam den Wetterbericht in der Zeitung und cremen einander die Füsse ein. Das sehen wir in «Schweiz aktuell», das diese Woche als Themenschwerpunkt täglich aus einer Wohngruppe für geistig Behinderte sendete. Dort lebt das Liebespaar; Bettina und Claude haben das Down-Syndrom. Behindert und verliebt - das haben die Fernsehmacher schön hingekriegt. Auch der «Club» konnte am Dienstag seine Sendung dem Thema widmen.

Menschen mit Down-Syndrom sind beim Schweizer Fernsehen gern gesehene Akteure. Im Sommer 2012 strahlte es die Doku-Soap «Üsi Badi» aus. Behinderte arbeiteten in einer Badi. Das war so herzig und offenbar so erfolgreich, dass man diesen Sommer die Protagonisten in einen Tierpark stellte und es «Üse Zoo» nannte. Über die Behinderten-Theatergruppe Hora berichten «Dok», «10 vor 10», «Kulturplatz» und sogar «Glanz & Gloria».

Es ist wichtig, dass Menschen mit Behinderungen in den Medien Beachtung finden. Das kann der Ausgrenzung entgegenwirken. Doch was die Serienmacher im Sommer und diese Woche in «Schweiz aktuell» inszenierten, geht in die andere und damit falsche Richtung. Man inszeniert den Menschenzoo. Das Paar auf dem Velo, das Paar im Restaurant, das Paar beim Schmusen. Es sieht nicht anders aus als bei anderen Liebespaaren. Weil die beiden behindert sind, wird eine Show daraus gemacht. Schaut mal her! Sind die nicht putzig. Dient das der Sache? Eher nicht.

Interessant ist, wie die Fernsehleute agieren. Die Aussenmoderatorin Sabine Dahinden stolpert unbeholfen durch die Wohngruppe und findet keinen Draht zu den an sich offenen Bewohnern. Wichtige Themen wie Sexualität umschifft sie. In den Gesprächen mit Experten fühlte sich die Moderatorin sichtlich wohler. Und im «Club» fand die Diskussion gleich ohne die Betroffenen statt. Die Fachleute blieben unter sich. Zur Unterhaltung sind Behinderte willkommen, aber so richtig für voll nimmt man sie dann doch nicht.

Erschienen in der NZZ am Sonntag vom 20. Oktober 2013

Siehe auch: Deine Bedürfnisse, meine Bedürfnisse

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