Vorwort des Übersetzers
Unter dem Hashtag #YesAllWomen posten seit einigen Monaten US-amerikanische Twitter-Nutzerinnen Beispiele von Frauenfeindlichkeit und gegen Frauen gerichtete Gewalt. Es handelt sich gewissermassen um das US-Gegenstück zur deutschsprachigen #Aufschrei-Kampagne.
Als nun aber die US-amerikanische SL-Aktivistin Stephanie Woodward versuchte, Gewalt gegen Frauen mit Behinderung zum Thema zu machen, stiess sie damit auf viel Ablehnung. Eine interessante Kontroverse über Feminismus und Frauen mit Behinderung, von der wir nur lernen können, da sie hierzulande genauso gut hätte stattfinden können.
#YesAllWomen, aber nicht wirklich: Wie der Feminismus Frauen mit Behinderung aussenvorlässt
Unbeabsichtigt oder nicht: Der moderne Feminismus schliesst seine behinderten Schwestern aus der Diskussion aus.
Mit viralen Hashtags wie #SolidarityIsForWhiteWomen oder #DropDunham ist es für Aktivistinnen einfacher denn je, endlich Fortschritte gegen die traditionell auf weisse, heterosexuelle, nichtbehinderte Cisgender-Frauen beschränkte Loyalität des Feminismus' zu machen.
Nach dem Amoklauf in Isla Vista, Kalifornien im Mai diesen Jahres, Antwortete die Netzgemeinschaft mit tausenden von Tweets, die unter dem Hashtag #YesAllWomen klarmachten, dass jede Frau in ihrem Alltag mit Belästigungen und Diskriminierung konfrontiert wird. Doch trotz der zahlreichen Erfolge der Kampagne, wurde auch deutlich, dass der Hashtag #YesAllWomen wirklich nur für einige Frauen da ist.
Als Stephanie Woodward über #YesAllWomen bloggte, freute sie sich darauf, sich der Bewegung anzuschliessen und ihre eigenen Lebenserfahrungen als Frau mit Behinderung zu teilen. Sie hätte nie gedacht, dass ihr Post ihr zahlreiche feindselige Nachrichten von Aktivistinnen einbringen würde, in denen man sie dafür beschimpfte, dass sie versuchen würde "vom wahren Problem abzulenken" und die Kampagne für das Thema Behinderung zu missbrauchen.
"Ich wusste nicht, dass man vom 'echten Problem', was immer das heissen soll, ablenkt, wenn man über die Gewalt spricht, die Frauen mit Behinderung erfahren.", sagt Woodward. "Zählen Frauen mit Behinderung nicht als Frauen? Sind wir nicht Teil der weiblichen Bevölkerung?"
Woodwards Erfahrung ist - leider - kein Einzelfall. Feministinnen mit Behinderung sagen, dass ihre Stimmen nicht gehört werden und das ist sehr, sehr gefährlich. Warum? Weil Frauen mit Behinderung einer der am stärksten von Gewalt bedrohten Personengruppen der Welt darstellen. Gemäss der "National Coalition Against Domestic Violence" haben niederschmetternde 80% der Frauen mit Behinderung sexuelle Gewalt erlebt. Bei Frauen mit intellektueller Behinderung ist der Prozentsatz sogar noch höher. Für Frauen mit Behinderung ist das Risiko, gewalttätig behandelt zu werden, im Allgemeinen um 40% höher, als für Frauen ohne Behinderung. Bei den Tätern handelt es sich für gewöhnlich um ihre männlichen Partner, oder aber um Pflegepersonal oder Familienmitglieder.
Eine Ursache für das Problem, dass Frauen mit Behinderung nicht am Feminismus teilhaben können, ist fehlende Barrierefreiheit. Zu oft handelt es sich bei den Orten, an denen sich lokale Feministen-Gruppen treffen, um Kaffestuben, die sich in einem Obergeschoss ohne Lift befinden oder aber um gut besuchte Bars ohne Induktive Höranlage, was jede Frau mit einer körperlichen Abweichung wirkungsvoll ausschliesst. Meistens handelt es sich bei dem Problem um eine Kostenfrage: Im schwer zugänglichen Pub kann sich die Gruppe kostenlos treffen, während dem ein komplett barrierefreies Sitzungszimmer teuer gemietet werden müsste.
Aber wenn es nicht an der Barrierefreiheit scheitert, ist es ein Mangel an Empathie oder Verständnis, welcher Frauen mit Behinderung ausschliesst. Im Kommentar-Bereich eines Artikels auf "The F-Word", einer feministischen Webseite aus dem Vereinigten Königreich, bestätigen verschiedene Userinnen, dass man es als Frau mit Behinderung unnötig schwer hat, wenn man sich für Frauenrechte engagieren möchte. Eine der Userinnen berichtet dort, dass die Räumlichkeiten ihrer örtlichen Gruppe zwar barrierefrei sind, die Tatsache, dass ihr persönlicher Assistent sie bei den Treffen unterstützen muss, aber für Probleme sorgt. "Mein Lebensgefährte ist mein Assistent und ich bin in den meisten Situationen auf seine Begleitung angewiesen.", schreibt sie. "Jede örtliche Feministen-Gruppe, die ich bis jetzt gefunden habe, darf ausschliesslich von Frauen besucht werden. Wenn mein Assistent nicht teilnehmen kann, kann ich auch nicht teilnehmen und das war's dann... Ich verstehe zwar diese Restriktion, gleichzeitig denke ich aber, dass sie sich etwas flexibel zeigen sollten, wenn es um Frauen mit Behinderung geht.
Dieser Mangel an Verständnis, den so viele Mainstream-Feministinnen zeigen, kann sogar in die radikalste Form von Abweisung übergehen, mit der Frauen mit Behinderung konfrontiert sind: Ableismus (Behindertenfeindlichkeit). "Wenn es um das Thema Mehrfachdiskriminierung geht, scheinen viele Feministinnen einfach zu vergessen, dass Behinderung und Ableismus Themen sind, mit denen auch sie sich befassen sollten.", sagt Elsa S. Henry, die den bekannten Blog Feminist Sonar betreibt. Henry sagt, sie sei aktiv aus feministischen Diskussionen hinausgedrängt worden, nachdem sie die Gegenwart von behindertenfeindlichen Tendenzen aufgezeigt habe. Das ist nicht überraschend, bedenkt man die Zahl der Feministinnen in der Pop-Kultur, die sich selber an behindertenfeindlichem Verhalten beteiligen. So verlor beispielsweise die englische Autorin und Kritikerin Caitlin Moran einige Fans, nachdem sie ihrem Teenager-Ich in ihrer Autobiographie die "freudvolle Überschwänglichkeit einer Zurückgebliebenen" attestierte. Sie gab darin auch stigmatisierende Kommentare über transsexuelle Menschen und Intersektionalität im Allgemeinen zum besten.
"Wenn sich Feministinnen an behindertenfeindlichen Vorbildern orientieren und sich der Einsicht verweigern, dass die Art, wie sie Menschen mit Behinderung behandeln falsch ist, untergraben sie damit die Fähigkeit behinderter Feministinnen, sich wirksam zu engagieren.", sagt Henry.
Der Konflikt wird besonders angeheizt, wenn Feministinnen mit Behinderung sich mit dem Thema Reproduktive Rechte auseinandersetzen. - Eines der wichtigsten Themen des Mainstream-Feminismus'. Zwar war die Mehrheit der behinderten Aktivistinnen mit denen ich gesprochen habe, für das Recht auf Abtreibung (Pro-Choice), aber einige der Argumente, mit denen Feministinnen die Legalisierung von Abtreibungen begründen, lösten in ihnen einen schwerwiegenden inneren Konflikt aus. "Jedes Mal, wenn die Abtreibungspolitik in den Medien thematisiert wird, bringt unweigerlich irgendjemand das Argument, dass Abtreibung legalisiert werden sollte, damit Frauen ihre behinderten Babies abtreiben können.", sagt Henry.
"Die reproduktiven Rechte stellen ein komplexes Thema für Menschen mit Behinderungen dar.", sagt Allie Cannington, SL-Aktivistin und Mitbegründerin des Projektes #DisabilitySolidarity. "Obwohl Behindertenrechtler und Aktivisten ihre Arbeit auf dem Prinzip der Selbstbestimmung und körperlichen Autonomie begründen, Ist es doch... verzwickt, wenn es immer noch zu Abtreibungen kommt, die einzig und allein dazu dienen, den Fötus aufgrund einer Behinderung zu eliminieren."
Das Selbe gilt für Zwangssterilisierungen von Frauen mit Behinderung, welche weitaus gängiger sind, als den Leuten bewusst ist. "Du wirst niemals irgendeine Frau - irgend eine Feministin - sagen hören, 'Ja, es geht in Ordnung, wenn Eltern ihre Tochter zu einer Sterilisation zwingen.'", sagt Woodward. "Aber wenn diese Tochter eine Behinderung hat, dann heisst es bei so vielen Menschen plötzlich, 'Naja, wissen Sie, dafür wird es schon einen guten Grund geben,' oder 'Ich kann verstehen, warum so etwas passieren könnte.' Das löst nicht das gleiche Ausmass an Empörung aus."
Es gibt derzeit allein in den Vereinigten Staaten mehr als 27 Millionen Frauen mit Behinderung - und ihre Zahl wächst. Jeder kann sich jederzeit eine Behinderung zuziehen und das Unrecht, das Frauen mit Behinderung widerfährt, ist Unrecht, das auch Ihnen eines Tages wiederfahren könnte.
"Nichtbehinderte Feministinnen sollten über ihr Privileg und ihre Behindertenfeindlichkeit nachdenken und den Worten von Frauen mit Behinderung Beachtung schenken.", sagt Caitlin Wood. "Weil wir hier sind und wir immer hier waren und um uns um die Aufmerksamkeit der Menschen bemühen."
Übersetzt aus dem Englischen von David Siems / Quelle der Nachricht: thedailybeast.com
Siehe auch: #YesAllWoman betrifft auch Frauen mit Behinderung
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