Vorwort des Übersetzers
Unter dem Hashtag #YesAllWomen posten seit einigen Monaten US-amerikanische Twitter-Nutzerinnen Beispiele von Frauenfeindlichkeit und gegen Frauen gerichtete Gewalt. Es handelt sich gewissermassen um das US-Gegenstück zur deutschsprachigen #Aufschrei-Kampagne.
Als nun aber die US-amerikanische SL-Aktivistin Stephanie Woodward versuchte, Gewalt gegen Frauen mit Behinderung zum Thema zu machen, stiess sie damit auf viel Ablehnung. Eine interessante Kontroverse über Feminismus und Frauen mit Behinderung, von der wir nur lernen können, da sie hierzulande genauso gut hätte stattfinden können.
#YesAllWoman betrifft auch Frauen mit Behinderung
Häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe und Rape Culture haben in letzter Zeit sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, besonders durch den Hashtag #YesAllWomen, der eine ernstzunehmende Eigendynamik entwickelt hat. Ich bin froh, dass sich diese Themen gerade jetzt auf dem gesellschaftlichen Radar befinden, denn als Verfechterin für ein Ende von häuslicher Gewalt und Rape Culture beschäftige ich mich damit täglich.
Auch als Frau beschäftige ich mich damit täglich. Jeden Tag treffe ich Vorkehrungen, um mich vor sexuellen Übergriffen zu schützen, die sich die meisten Männer nicht einmal vorstellen können. Jeden Tag muss ich mich mit Aussagen und Verhaltensweisen auseinandersetzen, die die Rape Culture aufrechterhalten.
Also ja, als Frau und als Juristin bin ich froh.
Aber als Frau mit Behinderung und als Verfechterin für ein Ende von gegen Frauen mit Behinderung gerichteter häuslicher Gewalt bin ich enttäuscht.
Ich bin enttäuscht, denn diese Diskussionen über die Beendigung der Gewalt, das stoppen der Übergriffe, die Ermächtigung von Frauen und das ganze Gewäsch haben Frauen mit Behinderung niemals eingeschlossen.
Das ist ein riesiges Problem.
Warum?
Naja, das hat viele Gründe, hier ein paar Beispiele:
- Frauen mit Behinderung tragen ein mindestens doppelt so hohes Risiko, Opfer von häuslicher Gewalt und sexuellen Übergriffen zu werden, als Frauen ohne Behinderung.
- Frauen mit Behinderung erfahren Missbrauch, welcher länger andauert und schwerwiegender ist, als Frauen ohne Behinderung.
- Frauen mit Behinderung zeigen häusliche Gewalt oder sexuelle Übergriffe seltener an. Ungefähr 70% bis 85% der gegen Menschen mit Behinderung gerichteten Missbrauchsfälle werden niemals angezeigt.
- Studien besagen, dass 80% der Frauen mit Behinderung sexuelle Übergriffe erlebt haben.
- Eine Studie hat gezeigt, dass 47% der sexuell missbrauchten Frauen mit Behinderung mehr als zehn verschiedene Übergriffe gemeldet haben.
- Eine andere Studie hat aufgedeckt, dass nur 5% der angezeigten Verbrechen gegen Menschen mit Behinderung strafrechtlich verfolgt wurden, während dem es bei gegen Menschen ohne Behinderung gerichteten Verbrechen 70% waren.
- Frauen mit Behinderung werden oft als schwach, unerwünscht oder asexuell wahrgenommen, was uns besonders anfällig für sexuelle Gewalt macht.
- Einige Täter haben angegeben, dass sie ihren behinderten Opfern mit der Vergewaltigung, bzw. dem sexuellen Übergriff einen Gefallen getan haben, weil sonst niemand Sex mit uns haben würde, dass wir nicht auf anderen Wegen Sex haben könnten oder aber sie haben uns noch nicht einmal als menschliche Wesen betrachtet.
- Missbrauch hat einen schwerwiegenderen Einfluss auf die Selbstachtung von Frauen mit körperlicher Behinderung als auf Frauen ohne Behinderung.
- Viele Frauen mit Behinderung haben geringere finanzielle Mittel zur Verfügung, was ihr Risiko missbraucht zu werden ebenfalls erhöht.
- Frauen mit Behinderung sind konfrontiert mit begrenzten Möglichkeiten aus einer Missbrauchs-Situation zu entkommen und Zugang zu Programmen für misshandelte Frauen zu finden.
- Frauen mit Behinderung sind auch Frauen. Unsere Stimmen, Gedanken, unsere Körper und unsere Leben sind von Bedeutung.
Ich könnte damit fortfahren, Fakten für Sie aufzuzählen, aber dann würde ich noch die ganze Nacht hier sitzen. Nein, ich würde noch Jahre hier sitzen. Der Punkt ist, dass Frauen mit Behinderung Frauen sind. Wir sind Menschen. Wir sind sexuelle Wesen. Und wir erleben häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe und wir erleben das alles viel häufiger als irgend eine andere Gruppe.
Aber niemand spricht über uns. Niemand spricht mit uns.
Probleme werden nicht gelöst, wenn niemand von der Existenz dieser Probleme weiss. Dadurch, dass wir nicht gegen die Gewalt, die Frauen mit Behinderung widerfährt, Stellung beziehen, ignorieren wir sie im Grunde genommen.
Nein, wir tun mehr, als sie zu ignorieren. Wir billigen sie.
Wenn Frauen ohne Behinderung sich nicht erheben, um über den Missbrauch von Frauen mit Behinderung zu sprechen und ihn zu beenden, so billigen sie diesen Missbrauch. Genauso, wie Männer die Rape Culture billigen, wenn sie sich nicht erheben, um darüber zu sprechen und ihr ein Ende zu setzen.
So wie Vergewaltigung und häusliche Gewalt kein reines Frauenproblem ist, sind auch Vergewaltigung und häusliche Gewalt gegen Frauen mit Behinderung nicht nur ein Problem von Frauen mit Behinderung. Beides sind gesellschaftliche Probleme. Die Gesellschaft muss das in Ordnung bringen. Männer und Frauen - Mit und ohne Behinderung - müssen zusammen an diesen Problemen arbeiten.
Also los, sprechen wir über häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe gegen Frauen mit Behinderung, denn #YesAllWomen bezieht sich auch auf Frauen mit Behinderung.
Übersetzt aus dem Englischen von David Siems / Quelle der Nachricht: Ms. Wheelchair Florida 2014
Siehe auch: #YesAllWomen, aber nicht wirklich: Wie der Feminismus Frauen mit Behinderung aussenvorlässt
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen