Lange Zeit wurde von Behindertenorganisationen und anderen
Kritikern der 6. IV-Revision bemängelt, dass man den Revisions- und Sparkurs
unter dem Titel "Eingliederung vor Rente" ungebremst fortführt,
obwohl noch gar keine wissenschaftliche Auswertung über die Wirksamkeit der 5.
IV-Revision vorliege.
Pünktlich zur bevorstehenden Behandlung der IV-Revision 6b
durch den Nationalrat am nächsten Mittwoch lieferte das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) nun genau das. Und schon in der Einleitung der
dazugehörigen Pressemitteilung lässt das BSV keinen Zweifel daran aufkommen,
dass die 5. IV-Revision ein voller Erfolg ist und der eingeschlagene Kurs unbedingt
fortgeführt werden sollte:
Bern, 07.12.2012 - Die
5. Revision hat die Invalidenversicherung (IV) auf den gewünschten Kurs
gebracht. Das zeigt eine erste Evaluation der Gesetzesrevision nach vier Jahren
Erfahrungen im Vollzug. Der Kulturwandel von einer Renten- zu einer
Eingliederungsversicherung, der mit der 5. IV-Revision angestrebt wurde, ist
tatsächlich vollzogen worden und lässt sich wissenschaftlich nachweisen.
Auch der Rest der Medienmitteilung strotzt geradezu vor Lobeshymnen auf diesen
sogenannten "Kulturwandel", dessen Erfolg natürlich auf die gute
Arbeit der IV-Stellen und deren Mitarbeitenden (und nicht etwa auf das
Engagement der Versicherten) zurück zu führen sei. Kein Aspekt der Gesetzesrevision
wird hinterfragt. Es wird lediglich bemerkt, dass die IV-Stellen diese neuen
Möglichkeiten noch nicht vollumfänglich ausschöpfen würden.
Dass eine so umstrittene Gesetzesrevision einer
wissenschaftlichen Analyse in allen Punkten so mühelos standhält, ist schwer
vorstellbar. Und tatsächlich: Der eigentliche Bericht geht mit dem Thema
wesentlich differenzierter um. Auf den Seiten 125 bis 127 wird das besonders
deutlich. Dort geht es nämlich um den eigentlichen Kern der ganzen
Integrations-Frage. Nämlich darum, wie viele Personen nach Abschluss des
IV-Verfahrens einen Arbeitsplatz haben.
Datenquelle: BSV / Forschungsbericht Nr. 13/12"Eingliederung vor Rente" |
Vor Inkrafttreten der Revision waren es 40% der angemeldeten
Personen, nach Inkrafttreten 44%. Das ist eine leichte Steigerung und somit an
und für sich kein schlechtes Resultat. Aber das als "Kulturwandel von
einer Renten- zu einer Eingliederungsversicherung" zu bezeichnen, ist doch
ziemlich realitätsfremd. Immerhin stehen immer noch 56% der angemeldeten
Personen am Ende des Verfahrens ohne Arbeitsplatz da. Und dass die dann eine
Rente bekommen, ist alles andere als sicher. Denn auch wenn man nach Abschluss
einer Integrationsmassnahme keinen Job hat, kann einen die IV dennoch als voll arbeitsfähig
einstufen. Mit welchen Methoden die IV das selbst bei eindeutig invaliden
Personen bewerkstelligt, wurde in den Medien schon ausführlich thematisiert
(Stichwort: Gutachten, päusBonoG's, etc.).
Noch schlimmer sieht es übrigens bei jenen Versicherten aus,
die zum Zeitpunkt der Anmeldung bei der IV bereits erwerbslos sind. Hier ist
der Anteil derer, die am Ende des Verfahrens einen Job haben, bei bescheidenen
20% gleich tief wie vor Inkrafttreten der Revision. Das ist schon sehr
bedenklich, da es sich bei dieser Gruppe ja um die eigentlichen
Integrationsfälle handelt. Denn jemand, der zum Zeitpunkt der Anmeldung bei der
IV noch eine Stelle hat, wird ja nicht wirklich integriert. In so einem Fall
geht es lediglich darum, den womöglich drohenden Verlust des Arbeitsplatzes zu
verhindern, was, wie die Praxis zeigt, weitaus weniger anspruchsvoll ist.
In zwei Punkten muss ich dem BSV aber zustimmen: Die
Invalidenversicherung macht einen Kulturwandel durch und dieser führt sie
tatsächlich weg von ihrer Rolle als Rentenversicherung. Doch sie verwandelt sich
keineswegs in eine Eingliederungsversicherung, sondern in eine Behörde, die in
vielen Fällen in erster Linie darum bemüht ist, sich möglichst schadlos aus der
Affäre ziehen zu können.
Siehe auch
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