Samstag, 28. Dezember 2013

Rücktrittsschreiben Thea Mauchle

Thea Mauchle ist als Zürcher Kantonsrätin zurückgetreten. Sie nutzte das Rücktrittsschreiben, welches im Rat vorgetragen wurde, um noch ein paar kritische Gedanken zu äussern:

Zürich, 10. Dezember 2013

Rücktrittsschreiben Thea Mauchle

Sehr geehrter Herr Präsident, geschätzte Kolleginnen und Kollegen

„Es langet“ – wäre die kürzeste Antwort auf die Frage, warum ich zurücktrete, aber ich hätte noch etwas mehr dazu sagen. Ich war 2000 bis 2005 im Verfassungsrat, und zwar in der Grundrechtskommission. 2003 durfte ich in den Kantonsrat nachrutschen und stellte mir anfänglich vor, dass nun die Umsetzung der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung wie am Schnürchen laufen werde. Doch zum Glück habe ich seit dem „Erwerb“ meiner Behinderung vor 24 Jahren vor allem eins gelernt: Geduld.

Für manche hier galt ich vielleicht als „Hinterbänklerin“, zumal ich ja nie in einer Kommission Einsitz hatte. Ich wusste natürlich, dass erst die Kommissionsarbeit das Amt so richtig interessant machen würde. Aber schon der Besuch der Ratssitzungen und Randveranstaltungen war für mich sehr aufwendig, da mein Alltag durch die Behinderung sowieso erheblich erschwert ist. Die Zugänglichkeit zu Gebäuden wie dem Rathaus, aber auch zu anderen Sitzungsräumen und Lokalen, in denen KantonsrätInnen zu verkehren pflegen, war äusserst mühsam, wenn nicht gar unmöglich. Im Ratssaal war ich praktisch an meinem Platz „festgenagelt“ und während Sie alle an mir vorbei ins Haus hinein- oder hinausspurteten, brauchte ich für diesen Weg ganze zehn Minuten, die Hälfte davon auf dem Aussenlift. Ich kam mir oft vor wie eine Schnecke, die sich für ein Hunderennen qualifiziert hat. Die Verhältnisse im Rathaus sind sinnbildlich für die Teilnahme am öffentlichen Leben von Menschen mit Behinderung. Trotz theoretisch gleicher Rechte und Diskriminierungsverboten gibt es immer noch unzählige Hindernisse. Meine seltenen Voten zu behindertenpolitischen Vorstössen waren deshalb meist anklagend, vielleicht gar larmoyant und kaum witzig, obwohl es mir an Humor wirklich nicht mangelt. Aber allzu oft müssen wir uns schöne Sonntagsreden anhören. Ich wünsche mir dennoch, dass Sie mich nach meinem Rücktritt nicht vergessen, wenn es um das Beseitigen von Hindernissen und um das Gewähren von Zugang geht.

Ausserhalb des Kantonsrates werde ich mich weiterhin in der Behindertenkonferenz engagieren und bin dankbar um alle Kontakte, die ich in diesem Sinne weiter pflegen darf. Sehr gerne werde ich und unser Team dort mit Rat und Tat zur Verfügung stehen in Fragen der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung im Kanton Zürich.

Was Sie vielleicht nicht so mitbekommen haben, weil ich diese Fahne im Kantonsrat kaum je geschwungen habe: Ich bin leidenschaftliche Lehrperson, seit einigen Jahren Berufsschullehrerin für Allgemeinbildung. Dorthin zieht es mich jetzt wieder mehr und ich freue mich darauf, mein Pensum wieder etwas aufzustocken.

Ihnen allen wünsche ich weiterhin viel Freude und Erfolg auf dem parlamentarischen Spielfeld!

Freundliche Grüsse  

Thea Mauchle

Freitag, 6. Dezember 2013

Parlament: Diverse Vorstösse zum 3. Dezember

Am 3. und 4. Dezember wurden in beiden Kammern diverse Vorstösse eingereicht:

Nationalrat
Interpellation "Auswirkungen der europäischen Normen im Rahmen der Bahnreform 2.2. für Menschen mit Behinderung und mobilitätsbeeinträchtigte Seniorinnen und Senioren", von Margret Kiener Nellen (SP/BE)

Text noch nicht verfügbar.

Fragestunde: "10 Jahre Behindertengleichstellungsgesetz. Was tut der Bundesrat?", von Yvonne Gilli (Grüne/SG)

Eingereichter Text: "Am 1. Januar 2004 ist das Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG) in Kraft getreten. Auch das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB nahm anfangs 2004 seine Tätigkeit auf. Das BehiG war eine wichtige Wegmarke und ein erster Schritt hin zu einer alle Behinderungsformen übergreifende Gleichstellungspolitik.
Wie gedenkt der Bundesrat im kommenden Jahr dem Jubiläum "10 Jahre BehiG" gebührend und der Bedeutung angemessen Rechnung zu tragen?"

Fragestunde: "BehiG-Umsetzungsfristen 2014 und 2024", von Margret Kiener Nellen (SP/BE)

Eingereichter Text: "Als Finanzhilfen aus dem Zahlungsrahmen des Behindertengleichstellungsgesetz BehiG stehen 300 Millionen Franken von 2004 bis 2023 zur Verfügung, 15 Millionen Franken pro Jahr. Nächstes Jahr läuft die erste Frist für die Anpassung der Kommunikationssysteme und Billette-Automaten ab. 2023 muss die Infrastruktur fit sein.
1. Wie stehen die Transportunternehmungen im Fahrplan der BehiG-Umsetzungsfristen 2014 und 2024?
2. Wie will der Bundesrat die Bahn- und Transportunternehmen dazu bringen, die Ziele zu erreichen?"

Ständerat
Motion "Unnötige IV-Renten vermeiden", von Alex Kuprecht (SVP/SZ)

Text noch nicht verfügbar.

Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Montag, 4. November 2013

Tagung Patienten Forum 2013

Die Patientenkoalition Schweiz veranstaltet am 23. November 2013 eine Tagung zum Thema „Sparen auf dem Buckel von chronisch kranken und behinderten Menschen...?„. Zu Gast ist unter anderem Nationalrat Christian Lohr.

Link zur Veranstaltung auf facebook

Freitag, 25. Oktober 2013

Raffaele Pennacchio: Der Arzt, der an die Würde der Kranken glaubte

Raffaele Pennacchio (Bild: privates facebook-Profil
Sein letzter Tweet stammt vom 21. Oktober, dem Tag an dem die ALS-Betroffenen nach Rom aufbrachen, um an der vom "Komitee 16. November" (Comitato 16 Novembre Onlus) ausgerufenen Protestaktion teilzunehmen. Er hatte einen Artikel der Tageszeitung "l'Unione Sarda" gepostet, der von der Abreise einiger behinderter Sarden berichtete. Unter ihnen war auch Salvatore Usala, Generalsekretär des "Komitee 16. November" und selber ALS-Betroffener.

Raffaele Pennacchio, der Arzt, der gestern nach einem Treffen mit der Regierung 55-jährig verstarb, hatte selber ALS. Der aus Macerata in Kampanien stammende Mediziner glaubte fest an die Achtung der Würde des Patienten und an die Möglichkeit, schwer und schwerstkranken Menschen durch persönliche Assistenz ein Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Deshalb hatte er das Projekt "Restare a casà" (zu Hause bleiben) des Komitees 16. November vorbehaltlos und mit enormem persönlichem Kräfteeinsatz unterstützt.

"Morgen gehen wir nach Rom... Wir werden für ein paar Tage nichts voneinander hören...", lautete sein facebook-Update vom Sonntag. Pennacchio war pensionierter Arzt, verheiratet (seine Frau ist ebenfalls Medizinerin), zweifacher Vater, arbeitete bei der örtlichen Gesundheitsbehörde von Caserta und war Spezialist für besondere semiologische Verfahren in der Chirurgie.

Übersetzt aus dem Italienischen von David Siems / Quelle der Nachricht: Il Messaggero

Sonntag, 20. Oktober 2013

Behindert und verliebt - «Schweiz aktuell» inszeniert den Menschenzoo


TV-Kritik von Michael Furger 

Bettina und Claude sind verliebt. Sie küssen sich mit spitzem Mund, lesen gemeinsam den Wetterbericht in der Zeitung und cremen einander die Füsse ein. Das sehen wir in «Schweiz aktuell», das diese Woche als Themenschwerpunkt täglich aus einer Wohngruppe für geistig Behinderte sendete. Dort lebt das Liebespaar; Bettina und Claude haben das Down-Syndrom. Behindert und verliebt - das haben die Fernsehmacher schön hingekriegt. Auch der «Club» konnte am Dienstag seine Sendung dem Thema widmen.

Menschen mit Down-Syndrom sind beim Schweizer Fernsehen gern gesehene Akteure. Im Sommer 2012 strahlte es die Doku-Soap «Üsi Badi» aus. Behinderte arbeiteten in einer Badi. Das war so herzig und offenbar so erfolgreich, dass man diesen Sommer die Protagonisten in einen Tierpark stellte und es «Üse Zoo» nannte. Über die Behinderten-Theatergruppe Hora berichten «Dok», «10 vor 10», «Kulturplatz» und sogar «Glanz & Gloria».

Es ist wichtig, dass Menschen mit Behinderungen in den Medien Beachtung finden. Das kann der Ausgrenzung entgegenwirken. Doch was die Serienmacher im Sommer und diese Woche in «Schweiz aktuell» inszenierten, geht in die andere und damit falsche Richtung. Man inszeniert den Menschenzoo. Das Paar auf dem Velo, das Paar im Restaurant, das Paar beim Schmusen. Es sieht nicht anders aus als bei anderen Liebespaaren. Weil die beiden behindert sind, wird eine Show daraus gemacht. Schaut mal her! Sind die nicht putzig. Dient das der Sache? Eher nicht.

Interessant ist, wie die Fernsehleute agieren. Die Aussenmoderatorin Sabine Dahinden stolpert unbeholfen durch die Wohngruppe und findet keinen Draht zu den an sich offenen Bewohnern. Wichtige Themen wie Sexualität umschifft sie. In den Gesprächen mit Experten fühlte sich die Moderatorin sichtlich wohler. Und im «Club» fand die Diskussion gleich ohne die Betroffenen statt. Die Fachleute blieben unter sich. Zur Unterhaltung sind Behinderte willkommen, aber so richtig für voll nimmt man sie dann doch nicht.

Erschienen in der NZZ am Sonntag vom 20. Oktober 2013

Siehe auch: Deine Bedürfnisse, meine Bedürfnisse