Dienstag, 12. September 2017

Offener Brief von Eric Bertels an die Behindertenorganisationen

Wie weiter mit der Behindertengleichstellung? 


Sehr geehrte Damen und Herren

Am 3.12.2016 habe ich das Buch «Die schweizerische Behindertengleichstellung» herausgegeben. Darin zeige ich auf, wie die Behindertengleichstellung in der Schweiz entstanden ist und mit welchen Widerständen Betroffene und Organisationen zu kämpfen hatten. Ich beschäftige mich auch heute noch mit diesen Fragen und verfolge diesen Prozess in der Schweiz intensiv. Dabei ist mir folgendes aufgefallen:

Seit einiger Zeit wird in der Schweiz versucht, beim Bund eine kohärente Behindertenpolitik mit Strategie zur umfassenden Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention und ein dazugehörendes Monitoring-System zu installieren. Erst kürzlich hat der Schattenbericht von Inclusion Handicap dies wieder als zentrale Hauptforderung in den Raum gestellt. Offen gesagt, frage ich mich, ob diese Strategie erfolgreich ist. Natürlich wäre man froh, wenn man auf solche Instrumente zurückgreifen könnte. Doch aufgrund meiner langjährigen Erfahrung glaube ich nicht, dass diese beiden Hilfsmittel uns wirklich weiterbringen. Folgende Gründe sprechen meiner Meinung nach dagegen:

Erhebliche Lücken in der Behindertengleichstellung bestehen heute auf der Ebene der Kantone und Gemeinden. Wir wissen alle, dass wir einen starken Föderalismus haben und dass der Bund nur begrenzt Einfluss auf die Kantone hat. Auch das beste Behindertenkonzept aus der Bundesschublade wird in den Kantonen kaum Beachtung finden, ausser es wird mit neuen nationalen Gesetzen verknüpft, was wiederum eine sehr starke Behindertenlobby nötig macht, die es in der Schweiz aber nicht gibt. So oder so braucht die Erstellung dieser Grundlagen endlos viele Jahre und verschlingt eine Menge Ressourcen. Wir haben aber weder die Zeit noch ausreichend Ressourcen dafür. Und ob der Bundesrat bzw. das bürgerliche Parlament jemals bereit sein werden, die hierfür benötigten Geldmittel zu bewilligen, steht in den Sternen. Ich erinnere nur daran, dass der Bundesrat beim EBGB bereits die Mittel kürzen wollte (siehe Mitteilung 4.10.2016 von Inclusion Handicap).

Um die Behindertengleichstellung in der Schweiz schneller und effizienter zu erreichen, gibt es meiner Meinung nach bessere Wege:

Kantonale Beauftragte für die Behindertengleichstellung in den Kantonen


Wie Sie der Presse vielleicht entnommen haben, hat die Stadt Zürich vor kurzem zwei neue Behindertenbeauftragte eingesetzt. Dies ist der richtige Weg! Neben der Stadt Bern hatte auch der Kanton Basel-Stadt lange Zeit eine solche Anlaufstelle. Als ehemaliger Leiter der Fachstelle hindernisfreies Bauen von Basel-Stadt begleitete ich den Behindertenbeauftragten über viele Jahre hinweg. Ich konnte feststellen, wie enorm wirksam diese Funktion war. Der Beauftragte wirkte auf zahlreichen Ebenen praxisbezogen und realistisch. Er konnte dadurch viele Verantwortliche in den Ämtern und Verwaltungen für dieses Anliegen gewinnen.

Ich habe vielen Regierungsräten in den Kantonen mein Buch zugestellt. Die Rückmeldungen waren durchwegs positiv, und ich habe das Gefühl, dass viele Kantone heute bereit sind, solche Stellen zu schaffen. Grund dafür ist, dass die Erkenntnis gewachsen ist, dass die Behindertengleichstellung die treibende Kraft für eine altersgerechte Infrastruktur ist. Daran sind heute sehr viele Gemeinden und Kantone aufgrund der Überalterung interessiert. Zudem steht eine Deinstitutionalisierung im Behindertenbereich bevor, und auch dafür braucht es entsprechende Fachleute.
 

Schulung der Verantwortlichen


Wie ich mit meinem Buch aufzeigen konnte, hatten die USA mit der ADA («American with Disabilities Act»), die 1990 eingeführt wurde, eine wesentliche Vorbildfunktion für die Schweiz. Das amerikanische Bundesgesetz, das ein Stück weit mit unserem BehiG vergleichbar ist, löste in den USA grosse Fortschritte bei der Behindertengleichstellung aus. Dafür verantwortlich sind zum einen die hohen Geldstrafen, die bei Verstössen anfielen, zum anderen die in allen Teilen der USA organisierten Schulungen und Seminare, die sich an Arbeitgeber, Architekten, Verwaltungen usw. richteten.

Genau hier muss auch die Schweiz ansetzen. Seit 15 Jahren führe ich verschiedene Kurse für die Schweiz. Fachstelle für behindertengerechtes Bauen durch und stelle fest, dass Kurse zur Gleichstellung behinderter Menschen sehr grossen Anklang finden. Viele Mitarbeiter in den Verwaltungen, die damit in Kontakt kommen, sind interessiert an diesem Thema. Sie besuchen gerne Kurse, in denen Betroffene verdeutlichen, was genau berücksichtigt werden muss. Doch leider gibt es in der Schweiz kaum solche Schulungen. Hier besteht eine grosse Lücke, die meiner Meinung nach von den Behindertenorganisationen gefüllt werden kann/muss. 

Ich bitte Sie also, sich mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass in allen Kantonen möglichst rasch die Stelle eines Behindertenbeauftragten geschaffen wird. Ideal wäre es, wenn diese Stellen durch Menschen mit Behinderungen besetzt würden. Gleichzeitig fände ich es sehr wünschenswert, wenn möglichst viele Kurse zum Thema Behindertengleichstellung organisiert und durchgeführt werden.

Es grüsst Sie freundlich

Sonntag, 9. April 2017

Warum es laut Peter Singer vielleicht in Ordnung ist, Menschen mit Behinderung zu vergewaltigen

Fürsprecher von Menschen mit Behinderung zeigen kein Interesse für den utilitaristischen Professor Peter Singer. Das liegt daran, dass Singer die Ermordung von Neugeborenen mit Behinderung öffentlich gerechtfertigt hat. In seinem Buch "Praktische Ethik" wog Singer die moralischen Rechtfertigungsgründe für die Euthanasie von behinderten Babies. Er schlussfolgerte, dass es in schweren Fällen, wie beispielsweise bei Kindern mit einem offenen Rücken, sogar moralisch falsch sein könnte, das Kind nicht zu töten. Bei weniger schwerwiegenden Diagnosen, wie beispielsweise der Bluterkrankheit, schlussfolgerte Singer, dass die Entscheidung für oder gegen die Tötung des Kindes davon abhängen sollte, wie sich dies auf das Glücksempfinden der Eltern auswirkt und ob diese vorhaben, ihr Kind durch ein anderes, nicht-behindertes zu "ersetzen":

"Wenn der Tod eines behinderten Kindes zur Geburt eines Kindes mit besseren Aussichten auf eine glückliches Leben führt, ist die Summe des Glückes grösser, wenn das behinderte Kind getötet wird. Der Verlust glücklicher Lebenszeit des ersten Kindes wird aufgewogen durch den Gewinn glücklicher Lebenszeit des zweiten Kindes. Wenn also die Tötung des hämophilen Kindes keine nachteiligen Effekte auf andere Menschen haben sollte, wäre es in der Gesamtsicht richtig, es zu töten."

Singers frühe Äusserungen zur Euthanasie von Menschen mit Behinderung führte zu Protesten gegen seine Vorlesungen während der 90er Jahre, und löste eine Kontroverse aus, als er die Professur für Bioethik an der Princeton-Universität erlangte. Seit damals hat Singer wenig getan, um seinen Leumund bei der Behindertenbewegung zu verbessern, da er immer wieder Interviews mit kontroversen Ässerungen über die moralische Rechtfertigung für Kindsmord gegeben hat. Und er hat es nur noch schlimmer gemacht, als er verkündete, dass er nicht bereit wäre ein Kind mit Down-Syndrom grosszuziehen, weil es ihn nicht glücklich machen würde ("Wenn ich wüsste, dass mein Kind sich voraussichtlich niemals zu einer Person entwickeln wird, die ich als mir ebenwürdig behandeln kann, würde meine Freude es grosszuziehen und es sich entwickeln zu sehen erheblich reduzieren"), und in dem er Rückfragen wie die folgende stellt:

"Die meisten Menschen denken, dass das Leben eines Hundes oder eines Schweins weniger wert ist als das Leben eines normalen menschlichen Wesens. Auf welcher Grundlage können diese Menschen behaupten, dass das Leben eines geistig hochgradig behinderten menschlichen Wesens  mit einer intellektuellen Kapazität, die der eines Hundes oder Schweines unterlegen ist, so viel Wert ist wie das Leben eines normalen menschlichen Wesens?"

Diese Art von Zeug (beständig wiederholt) hat bei einigen Menschen mit Behinderung den nicht abwegigen Eindruck hinterlassen, dass Peter Singer, der womöglich prominenteste Ethiker der Welt, es vorziehen würde, wenn sie sterben würden. (Und unglücklicherweise hat Singer mit seinen widerwärtigen Ausführungen seine lobenswerten Anstrengungen untergraben, die er unternommen hat, um die Menschen für die leidenden Kinder dieser Welt zu sensibilisieren. Für einen Utilitaristen scheint Singer nicht sehr viel über die "Utilität" (Nutzen) nachzudenken, die er erzeugt, wenn er seine Glaubwürdigkeit als Ethiker untergräbt, in dem er kaltschnäuzige und brandstiftende Kommentare über Menschen mit Behinderung von sich gibt.

Manch einer mag aus all diesen Gründen gedacht haben, Singer könnte Menschen mit Behinderung unmöglich noch mehr vor den Kopf stossen, oder dafür sorgen, dass er noch mehr wie ein Monster klingt.

Manch einer könnte sich da irren. Denn nun war Singer Coautor eines Editorials der New York Times, in welchem er Vergewaltigungen von Menschen mit Behinderung moralisch zu verteidigen scheint.

Das Argument, welches Singer in seinem Times-Artikel ausführt, ist atemberaubend abstossend. Aber zunächst ist es wichtig den Fall zu verstehen, welchen er kommentiert hat. Es geht um den Fall von Anna Stubblefield, eine Philosophie-Professorin der Rutgers Universität, welche wegen sexuellen Missbrauchs ihres geistig behinderten Schülers zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Der Fall ist, gelinde gesagt, extrem ungewöhnlich. Ihr Schüler D.J. ist ein mehrfachbehinderter 30-jähriger Mann mit Cerebralparese, der in seinem ganzen Leben noch nie ein Wort gesagt hat und nur durch Schreie und Zwitscher-Geräusche kommunizieren kann. Stubblefield war seine Privatlehrerin und benutzte eine diskreditierte, pseudowissenschaftliche Technik um das zu interpretieren, was ihrer Ansicht nach komplexe Kommunikationsversuche von D.J. waren. Basierend auf ihren Interpretationen begann Stubblefield damit, Sex mit D.J. zu haben, für den sie während ihrer gemeinsamen Zeit romantische Gefühle entwickelte.

D.J.'s Familie war entsetzt feststellen zu müssen, dass Stubblefield, die D.J. angeblich dabei geholfen hat, höchst intelligente Botschaften zu formulieren, welche seine komplexe Gefühlswelt zeigten, in Tat und Wahrheit etwas getan hat, was sie als Missbrauch erachteten. Stubblefield beharrte darauf, dass D.J.'s Behinderung rein körperlich sei, dass er einen offenen Geist besässe und nur ein Mittel braucht, um sich ausdrücken zu können. D.J.'s Familie glaubte, dass seine geistigen Defizite ebenso schwerwiegend seien wie seine körperlichen und dass er deshalb genauso unfähig war, einer sexuellen Beziehung zuzustimmen wie ein Kind. Aufgrund der Strafanzeige der Familie wurde Stubblefield vor Gericht gestellt und verurteilt.

An dieser Stelle kommen wir zurück zu Peter Singer. Singer und Jeff McMahan, welcher Professor an der Oxford-Universität ist, argumentieren, dass Stubblefield's Verurteilung aus verschiedenen Gründen höchst ungerecht sei. Der zuständige Richter gestattete Stubblefield nicht, zu beweisen, dass D.J.'s kognitive Fähigkeiten gross genug waren, um kommunizieren und der sexuellen Beziehung zustimmen zu können. Man ging von vornherein davon aus, dass D.J. ein hilfloses Opfer sei, ohne diese Annahme irgendwie zu untermauern. Falls D.J.'s Fähigkeiten wirklich unterschätzt worden sein sollten, wie Stubblefield es behauptet und man diese Tatsache mit einer anerkannten Technik hätte beweisen können, dann hätte man ihn fragen können, ob er den sexuellen Handlungen zugestimmt hat oder nicht. Stattdessen unterstellte man ihm einzig aufgrund seiner Unfähigkeit zu sprechen, keine Stimme zu haben.

Das ist ein absolut vernünftiges Argument. Wie Singer und McMahan schreiben, stammt dieses Argument von Behindertenvertretern, deren Haltung zum Stubblefield-Fall nicht unbedingt dem entspricht, was man spontan annehmen würde. Während dem die Behindertenbewegung sich selbstverständlich darum bemüht, Menschen mit Behinderung vor sexuellem Missbrauch zu beschützen, ist man natürlich auch misstrauisch gegenüber Argumenten, welche die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung bedrohen, indem sie sie als zwangsläufig kindlich und Entscheidungsunfähig darstellen. Einige meinen, dass das Urteil D.J. sogar erniedrigt, da es ihm weniger Menschsein zuspricht, als Stubblefield es tat.

Wenn Singer dabei geblieben wäre, dass man es Stubblefield hätte erlauben müssen, mehr Beweise zu präsentieren und dass man D.J.'s Wünsche mehr hätte respektieren müssen, so hätte sich sein Ansehen in der Behindertenbewegung vielleicht ein kleinwenig verbessert.

Stattdessen entschied er sich dafür, Stubblefield auf eine andere Weise zu verteidigen und damit eines seiner bisher abscheulichsten Argumente zu liefern: Es sei vielleicht gar nicht falsch, Menschen mit geistiger Behinderung zu vergewaltigen. Singer und McMahan schreiben:

"Wenn wir davon ausgehen, dass D.J. hochgradig geistig behindert ist, sollten wir einräumen, dass er nicht fähig ist, die Bedeutung einer sexuellen Beziehung zwischen zwei Menschen oder die Bedeutung von sexueller Gewalt zu verstehen. Diese Dinge sind sogar für Menschen mit normaler kognitiver Kapazität schwer nachzuvollziehen. In diesem Fall ist er nicht dazu in der Lage, ein fundiertes Einverständnis zu einer sexuellen Beziehung zu geben. In der Tat versteht er womöglich nicht mal das Konzept eines Einverständnisses an sich. Das schliesst nicht aus, dass Stubblefield im Unrecht angetan hat, aber es ist dadurch weniger klar, was dieses Unrecht konkret bedeutet. Es ist vernünftig anzunehmen, dass ihm diese Erfahrung Vergnügen bereitet hat; denn auch wenn er kognitiv eingeschränkt ist, so hätte er sich doch körperlich zur Wehr setzen können."

Denken wir sorgfältig darüber nach, was hier gesagt wurde. Bei diesem Argument gehen Singer und McMahan davon aus, dass D.J. schwer eingeschränkt ist. In ihren Augen bedeutet das, dass er intellektuell zu stark eingeschränkt ist, um zu verstehen, was ein Einverständnis bedeutet. Und weil er es nicht versteht, kann er es auch nicht verweigern. Und weil er sich auch körperlich nicht zur Wehr gesetzt hat, ist es vernünftig davon auszugehen, dass er eine gute Zeit hatte, weshalb es unklar ist, warum es schädlich sein soll, ihn für nicht-einvernehmlichen Sex zu benutzen.

Nochmals, sein wir uns im Klaren darüber, was die beiden da sagen: Wenn jemand geistig stark genug eingeschränkt ist, dann ist es möglicherweise in Ordnung, ihn zu vergewaltigen, solange er sich nicht zur Wehr setzt, da ein ausbleibender körperlicher Widerstand die Annahme rechtfertigt, dass er es geniesst, vergewaltigt zu werden. (Singer offeriert hier eine Variante seiner eigenen früheren Argumentation, mit der er Sex mit Tieren verteidigte, da Singer glaubt, Menschen mit Behinderung und Tiere seien in Sachen ethische Analysen ein und dasselbe.) Bitte beachten Sie, dass seine Argumentation auch den sexuellen Missbrauch von Säuglingen rechtfertigt, die ebenfalls nicht fähig sind zu verstehen, was ein Einverständnis ist.

Die New York Times hat somit gerade eine philosophische Verteidigungsschrift für die Vergewaltigung von Menschen mit Behinderung publiziert und Peter Singer hat es - irgendwie - geschafft, einen neuen Tiefpunkt im Themenfeld Behinderung zu erreichen. (Eigentlich, um ganz genau zu sein, ein Argument, demzufolge es nicht klar ist, welcher Schaden entsteht, wenn man einen Menschen mit Behinderung vergewaltigt und die Schlussfolgerung daraus, dass nicht-einvernehmlicher Sex mit körperlich und geistig hilflosen Menschen gar keine Vergewaltigung ist, wenn die Opfer nicht wissen, was Einvernehmen überhaupt bedeutet.)

Singers saloppe Rationalisierung von sexuellem Missbrauch veranschaulicht, warum man sich dem Utilitarismus gar nicht erst anschliessen sollte. Utilitaristen sind peinlich genau und Spock-ähnlich im "durchrechnen" ihrer Prämissen, doch ihre unfehlbare Logik führt zwangsläufig zu schlichtweg grauenerregenden oder bizarren Schlussfolgerungen, die total in Konflikt stehen mit den fundamentalsten moralischen Werten der Menschen. Utilitaristisches Denken kann dich dazu bringen daran zu glauben, dass es so etwas wie "gut" und "böse" gar nicht gibt, nur "besser" und "schlechter" (was bedeutet, dass sogar Völkermord nicht von Natur aus schlecht ist, sondern akzeptabel, wenn es die am wenigsten schlechte verfügbare Option in einer bestimmten Situation ist). Es kann zu der Annahme führen, dass es für ein Paar unmoralischer ist, kinderlos zu bleiben, als einen Obdachlosen im Seniorenalter im Schlaf zu ermorden (denn daran zu scheitern, ein potentiell glückliches, langes Leben zu kreieren ist schlimmer als jemandem seine unglückliche, kurze Restlebenszeit zu rauben). Wie Freddie deBoer aufzeigte, kann es dich zu der Annahme führen, dass du im "Jim Crow"-Süden einen unschuldigen schwarzen Mann für ein Verbrechen in die Pfanne hauen und lynchen lassen solltest, wenn du damit den Groll der Weissen besänftigen und verhindern kannst, dass sie eine Welle von noch brutalerer Gewalt lostreten. Es kann dich auch dazu bringen, Ausbeuterbetriebe und Fabrik-Einstürze in Entwicklungsländern zu verteidigen. Aufgrund der Natur ihrer Prämissen kommen Utilitaristen ständig an dem Punkt an, an dem sie eine endlose Reihe an Unmenschlichkeiten als moralisch notwendig billigen. Es ist eine grässliche Philosophie, die dich zu brutalen und perversen Schlussfolgerungen führt und im allerschlimmsten Fall macht sie aus dir einen Peter Singer.

Ich denke an diesem Punkt ist niemand mehr von Singers Verhalten überrascht. Dennoch war es irgendwie unglücklich, dass er auf ein Argument für mehr Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung ein Argument folgen liess, welches bestreitet, dass ein Schaden entsteht, wenn man sie sexuell missbraucht. Aber er hat während seiner Karriere deutlich gezeigt, dass er sich nicht für die Konsequenzen der Dehumanisierung von Menschen interessiert. Wahrscheinlich ist es viel schockierender, dass man bei der New York Times entweder nicht realisiert hat, wie hier argumentiert wurde, oder das Gefühl hatte, dass diese Auseinandersetzung einen seriösen Beitrag zu Debatten über Einverständnis und Behinderung beisteuern würde. So oder so, die fortlaufende Präsenz Peter Singers im nationalen Dialog über Behinderung zeigt uns, wie weit der Weg zu einer Gesellschaft ist, in der Menschen wie D.J. ihre volle Menschlichkeit zugesprochen wird - von Staatsanwälten, wie auch von Philosophen.

Übersetzt aus dem Englischen von David Siems / Quelle der Nachricht: Current Affairs

Dienstag, 28. Februar 2017

Unterstützung des gemeinnützigen Vereins PSYCHEXODUS

Sehr geehrte Damen und Herren

Seit nun genau 30 Jahren verteidigt der Verein PSYCHEX Zwangspsychiatrisierte. In seinen Archiven haben sich über 25’000 Dossiers von Menschen gestapelt, welche sich mit unserer Hilfe gegen die Zwangseinweisungen und Zwangsbehandlungen in psychiatrischen Anstalten gewehrt haben. Unser Kerngeschäft besteht darin, für die Betroffenen schweizweit das Haftprüfungsverfahren gemäss Art. 5 Ziff. 4 EMRK direkt bei den zuständigen Gerichten und Verwaltungsbehörden in Gang zu setzen – für die Gerichts- und KESB-Verhandlungen unter Benennung einer VerteidigerIn, welche wir aus einer Liste von rund 300 AnwältInnen auswählen können.

Eine Riesenherausforderung für den Verein, wie man sich das ja vorstellen kann.

Abfallprodukt des Einsatzes für die Klientel ist unsere Kritik an den Vorgängen hinter den Hochsicherheitsschleusen. Ab 1990 wurde unser Verein vom Bundesamt für Sozialversicherungen subventioniert. Ganz offensichtlich unserer scharfen Kritik wegen sind sie im Sommer 2014 gestrichen worden.

Seither sind wir gezwungen, unseren Pikettdienst ausschliesslich via Spenden zu finanzieren.

Wir gelangen mit der Bitte an Sie, unsere anspruchsvolle Arbeit mit einer steuerabzugsfähigen Spende an den Parallelverein PSYCHEXODUS zu unterstützen.

Es wäre nett, wenn Sie diesen Aufruf auch an Ihre Kontakte weiterleiten.

Einzelheiten ergeben sich aus den Jahresberichten der Vereine PSYCHEX und PSYCHEXODUS, den Informationen auf den jeweiligen Homepages und allen übrigen Links in diesem Mail.

Wir bedanken uns zum Voraus für jeden Betrag.

Mit freundlichen Grüssen

Vereine PSYCHEX und PSYCHEXODUS
Edmund Schönenberger
Rechtsanwalt
Gründer und Vorstandsmitglied

Kontodaten:

Verein PSYCHEXODUS, 8000 Zürich, PC-Konto 89-263419-3
Banküberweisung: Postfinance, 3030 Bern, IBAN: CH87 0900 0000 8926 3419 3  BIC/SWIFT: POFICHBEXXX

Donnerstag, 16. Februar 2017

Behindert, gemieden und zum Schweigen gebracht in Trumps Amerika

Ich bin eine Frau. Ich bin körperlich behindert. Und ich war noch nie so beunruhigt wie jetzt.

Ich sass da und starrte auf den Bildschirm meines Computers als die Worte "Seite nicht gefunden" auf der Website des Weissen Hauses auftauchten.

Ich fühlte mich, als hätte man mir gerade in den Bauch geboxt, als ich begriff, dass die Unterseite zum Thema Behinderung im Nachgang der Amtseinführung entfernt wurde. Nur zwölf Stunden zuvor, nachdem Trump den Amtseid abgelegt hatte, sprach er ich seiner Antrittsrede davon, das amerikanische Volk zu ermächtigen: "Die heutige Zeremonie hat eine ganz besondere Bedeutung. Denn heute übertragen wir nicht einfach nur die Macht von einer Verwaltung an eine andere, oder von einer Partei an eine andere. Wir übertragen die Macht von Washington D.C. zurück an euch, das amerikanische Volk."

Das ist jedoch nicht das, was ich gehört habe, als ich in dieser Nacht auf meinen Bildschirm gestarrt habe, zornig und mit dem Gefühl, besiegt worden zu sein. Was ich in meinem Kopf gehört habe, war diese kleine Stimme, die da schon mein ganzes Leben lang sitzt. Es ist diese Stimme, die versucht, an mir zu zehren und mich dazu zu bringen, an mir selbst zu zweifeln. Es ist die Stimme, die mich dazu gebracht hat, meinen Selbstwert in Frage zu stellen und meinen Platz in der Gesellschaft.

"Du bedeutest nichts."

"Du bist es nicht wert."

"Du bist keine Person."

In seinem Wahlkampf und bis jetzt auch in seiner Präsidentschaft, war genau das Trumps Botschaft an mich. Und das ist nicht in Ordnung. (Eine Suche nach "Americans with Disabilities Act" auf der Website des Weissen Hauses lieferte keine Treffer. Ich erhielt die Empfehlung, weniger oder allgemeinere Stichworte zu verwenden. Das hat auch nichts gebracht. Eine archivierte Version der Unterseite über Behinderung zu Zeiten der Obama-Administration kann hier gefunden werden.)

Ich habe Leute sagen gehört: "Naja, die Trump-Administration führt wohl gerade Updates an der Website durch. Alle diese Unterseiten werden bald wieder online sein." Vielleicht stimmt das ja, aber ist das wirklich der Punkt? Das zu wissen hat diese Entdeckung nicht weniger beissend für mich gemacht.

Wie wir wissen, hat der Präsident nicht nur einen kompletten Mangel an Bewusstsein für Behindertenrechte und der wichtigen Rolle gezeigt, die Menschen mit Behinderung in einer inklusiven Gesellschaft spielen können. Er war uns gegenüber herablassend und grob. Wir alle wissen, wie er das körperliche Erscheinungsbild des Times-Reporters Serge Kovaleski verspottet hat. Ebenso wissen wir, dass er die wahre Bedeutung des Vorfalls leugnet und sich weigert, sich zu entschuldigen. Über Themen, die uns Menschen mit Behinderung betreffen, haben wir seitdem gar nichts mehr von ihm gehört.

Auch wenn ich nicht für Kovaleski sprechen kann, so glaube ich doch, mich mit ihm identifizieren zu können. Ich kam mit dem Freeman-Sheldon-Syndrom zur Welt, einer genetisch bedingten Muskel- und Knochenkrankheit und hatte in meinen Teenager-Jahren schon 26 Operationen hinter mir. Auch ich habe am College im Hauptfach Journalismus studiert und als Reporterin gearbeitet. Es gab Zeiten, in denen hat es sich angefühlt, als würde mein Rollstuhl alles an mir überschatten und es gab Zeiten, da fühlte ich, dass die Person auf der anderen Seite des Interview-Tisches bei unserem ersten Treffen verblüfft war. Ich hasse es mir vorzustellen, dass Trumps Verhalten gegenüber einem Reporter-Kollegen auch nur ansatzweise widerspiegelt, wie die Menschen über die Behinderten-Community denken.

Aufgrund meines Zustands habe ich mich mein Leben lang übersehen, ausgegrenzt und unterschätzt gefühlt. Ich habe Leute getroffen, die einzig anhand meines Aussehens über meine Fähigkeiten geurteilt haben. Es gab Leute, die miteinander über mich gesprochen haben - oder schlimmer, die meinen Begleitern Fragen über mich gestellt haben, als wäre ich gar nicht anwesend, weil sie angenommen haben, ich könne nicht sprechen. Wenn die sich die Zeit genommen hätten, mich kennen zu lernen, so hätten sie einiges lernen können - beispielsweise, dass ich das College mit Auszeichnung abgeschlossen habe, dass ich mir ein Diplom in Journalismus erarbeitet habe und dass ich fast zehn Jahre lang als Bloggerin und Freelancer-Autorin gearbeitet habe.

Wenn ich direkt mit Trump sprechen könnte, würde ich ihm Folgendes sagen: Worte bedeuten etwas. Worte haben Macht. Jedes Mal wenn du den Mund aufmachst, übst du Macht aus. Und egal ob du das anerkennst oder nicht, trägst du die Verantwortung diese Worte bedächtig und weise zu wählen und dabei an die Interessen der Menschen zu denken. Wer sie verletzend oder herabwürdigend wählt, wird gewisse US-BürgerInnen verletzen. Diese Wunden werden länger nachwirken als irgendeine Pressekonferenz oder eine markige Parole. Das Internet vergisst nie.

Es ist das Jahr 2017 und die Behindertenbewegung hat es weit gebracht. Und dennoch fühle ich mich manchmal, als ob wir noch in den 50ern leben würden. Ich mühe mich oft ab, einen Weg zu finden, das in Ordnung zu bringen. Ich weiss, dass wir damit beginnen müssen, die Art zu verändern, wie die Gesellschaft Menschen mit Behinderung wahrnimmt. Wir dürfen nicht länger als Introvertierte angesehen werden, die nicht fähig sind, für sich selbst zu sorgen. Mehr und mehr von uns sind da draussen in der Welt, proklamieren unsere Würde, fordern unsere Grundrechte ein - kurzgesagt: Leben unser Leben. Am wichtigsten ist, dass wir nicht verschwinden werden. Da wir ca. 20% der Bevölkerung ausmachen, wird es immer schwieriger, uns einfach zu übersehen.

Auch wenn ich das bereits geschrieben habe, muss ich es wiederholen: Was Trump getan hat ist die schlimmste Art von Mobbing, die man Menschen antun kann: Werturteile über sie zu fällen. Ich denke über junge Menschen mit Behinderung nach. Hat sich Trump irgendwelche Gedanken über die gemacht? Was ist mit dem Teenager mit Behinderung, der jeden Tag in der Schule gemobbt wird? Was ist mit dem Kind, das mehr Zeit im Krankenhaus verbracht hat, als auf dem Spielplatz? Was ist mit der jungen Frau, die mit ihren Minderwertigkeitskomplexen kämpft, die verzweifelt versucht, sich mit ihrer Behinderung zu arrangieren? Wenn Spott und Mobbing von der Gesellschaft akzeptiert werden, werden verletzliche Menschen mit Behinderung vielleicht irgendwann glauben, dass sie das verdient haben. Ich weiss aus Erfahrung, dass das eine gefährliche Botschaft ist, die da ausgesendet wird.

Die Wahrheit ist: Ich bin besorgt. Ich fürchte mich davor, bald in einem Land zu leben, in dem man Menschen mit Behinderung aus dem Weg geht, so als würden sie nicht existieren. Ich fürchte mich davor in einem Land zu leben, deren Gesellschaft diese Art von Botschaft vermittelt und denkt, das sei total in Ordnung. Denn ist es ist definitiv nicht in Ordnung und wird auch niemals in Ordnung sein.

Wenn Trump sich wirklich darum scheren würde, wie er den Menschen ihre Macht zurückgeben kann, dann würde er sich mit Mitgliedern der Behindertenbewegung zusammensetzen und zuhören - wirklich zuhören - was sie für Sorgen haben und wie ihre Vorschläge für die Zukunft lauten.

Mein Mantra lautete immer "Ich bin eine Person" und das war niemals wahrer als jetzt. Ja, ich bin eine Person. Ich bedeute etwas. Menschen mit Behinderung bedeuten etwas. Ich werde niemals damit aufhören, für unsere Rechte und gegen Mobber zu kämpfen. Ich werde niemals keine Person sein. Ich hole mir meine Macht zurück und ich möchte, dass Präsident Trump das weiss.

Übersetzt aus dem Englischen von David Siems / Quelle der Nachricht: The New York Times

Montag, 6. Februar 2017

Kanada ist ein Traum in Sachen progressiver Einwanderungs-Politik - Es sei denn, du hast eine Behinderung

Das Land ist nicht so grosszügig, wenn Einwanderer oder ihre Kinder die staatlichen Ressourcen "übermässig belasten" könnten.

Es ist kein Geheimnis, dass viele progressive US-Amerikaner Kanada als ein Utopia des Nordens idealisieren. Jeder hat eine Krankenversicherung, gleichgeschlechtliche Ehen wurden zehn Jahre früher als in den USA eingeführt, und das Land hat einen reizenden, linken Premierminister (inklusive Tätowierung und Literatur-Abschluss). Nachdem US-Präsident Trump die Einreise von Flüchtlingen, Einwanderern und Touristen von sieben überwiegend muslimischen Ländern eingeschränkt hatte, twitterte Premierminister Trudeau: "An all jene, die vor Verfolgung, Terror und Krieg fliehen: Kanada wird euch willkommen heissen, egal woran ihr glaubt. Vielfalt ist unsere Stärke #WelcomeToCanada." Die Liberalen gerieten daraufhin kollektiv ins Schwärmen.

Das Problem ist, dass Kanadas Einwanderungspolitik nicht ganz so traumhaft ist, wie einige US-Amerikaner vielleicht denken. Sie schliesst Menschen mit Behinderung bereits seit Jahrzehnten praktisch aus: Gemäss dem Kanadischen "Immigration and Refugee Protection Act" (Einwanderungs- und Flüchtlingsgesetz) können Ausländer abgewiesen werden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass sie das Gesundheits- oder Sozialwesen erheblich belasten würden. Das bedeutet, dass Familien abgewiesen werden können, wenn sie gehörlose Kinder haben und Ehepartner können abgelehnt werden, weil sie einen Rollstuhl benutzen. Diese Praxis ist sogar schärfer als das schwierige Zuwanderungssystem der USA.

Es ist nicht bekannt, wie viele Migranten mit Behinderung von Kanada abgewiesen werden. Die meisten abgewiesenen haben nicht die finanziellen Mittel, um Rekurs einzulegen und nur wenige Fälle schaffen es in die Medien.

Im Jahr 2000 wurde dem Multimillionär David Hilewitz und seinem Sohn Gavin die Zuwanderung aus Süd Afrika verwehrt, weil Gavin eine leichte Entwicklungsstörung hat. Die Deutsche Angela Chesters, die mit einem Kanadier verheiratet ist, bekam keine unbefristete Aufenthaltsbewilligung, weil sie Multiple Sklerose hat. Die Familie Chapman aus Grossbritannien wurde 2008 an einem kanadischen Flughafen an der Einreise gehindert, weil ihre Tochter einen Gendefekt hat. Die niederländische Familie DeJong durfte nicht einwandern, weil ihre Tochter eine leichte intellektuelle Behinderung hat. Der Costa Ricaner Felipe Montoya sollte an einer Universität in Toronto unterrichten, doch seine Familie durfte nicht übersiedeln weil sein Sohn das Down Syndrom hat. 2015 verweigerten die Behörden Maria Victoria Venancio die medizinische Versorgung und versuchten sie abzuschieben, nachdem sie zur Paraplegikerin geworden war.

Gemäss dem kanadischen Professor für Sozialarbeit und Behinderten-Rechts-Aktivist Roy Hanes dominiert diese Praxis das Einwanderungswesen, obwohl das Gesetz Menschen mit Behinderung gar nicht explizit vom Recht auf Einwanderung ausschliesst. Potentielle Einwanderer müssen medizinische und psychologische Untersuchungen über sich ergehen lassen, um zu beweisen, dass ihre Körper und Geisteszustände nicht zur Bürde für Kanadas sozio-ökonomische Struktur werden. Hanes schrieb in einer Abhandlung über das kanadische Einwanderungsrecht, dass diese Politik es Menschen mit Behinderung "extrem erschwert" die kanadische Staatsbürgerschaft zu erwerben.

Hanes führt aus, dass diese Politik der Ausgrenzung aus der veralteten Vorstellung entstanden ist, dass Menschen mit Behinderung keine produktiven Mitglieder der Wirtschaft seien, weil sie zu viele Ressourcen verbrauchen würden. "Die weit zurückreichenden Bedenken drohender sozialer Abhängigkeit ist bis heute eines der Haupthindernisse für Menschen mit Behinderung. Es scheint, dass Menschen mit Behinderung nach wie vor danach beurteilt werden, was sie nicht tun können und nicht anhand ihrer Fähigkeiten.", heisst es in seiner Abhandlung. "Die Einwanderungsgesetzgebung basiert auf ökonomischem "Utilitarismus" und Menschen mit Behinderung schneiden sehr schlecht ab, wenn man ihre Fähigkeiten nur unter dem Aspekt der ökonomischen Produktivität berücksichtigt."

Einige Wissenschaftler vertreten den Standpunkt, dass diese behindertenfeindliche Einwanderungspolitik gegen die kanadische Verfassung verstossen könnte, ganz zu schweigen von der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Trotz der Möglichkeit einer zukünftigen Reform - derzeit ist ein Bundesgesetz über Barrierefreiheit in Arbeit, welches auch Auswirkungen auf die Einwanderung haben könnte - ist diese diskriminierende Politik gemäss Global Disability Watch "tief verwurzelt" und es gibt "keine Anzeichen für eine Verbesserung." Die Gruppe fügt hinzu, dass Kanadas Einwanderungspraxis zeigt, "wie man ein behinderten-freies Land aufbaut."

Unter dieser Politik verborgen liegt die Annahme, geboren in der widerlichen Ehe zwischen Eugenik und westlichem Kapitalismus, dass ein Mensch an Wert verliert, sobald er kein "produktives" Mitglied der Gesellschaft sein kann. Der Wert wird bestimmt durch den Beitrag an einen Profit, durch Unabhängigkeit und durch die Fähigkeit, seinen Beitrag zu leisten. Natürlich ist die Annahme, dass irgendjemand wirklich unabhängig sein kann, oder dass wir fähig wären, ohne einander zu überleben, ist ein reiner Mythos. Aber es ist ein zentraler Pfeiler der Geschichte des westlichen Kapitalismus - und Kanada umarmt diesen Pfeiler, wenn es um Migrationsfragen geht.

In den Vereinigten Staaten müssen sich angehende Einwanderer ebenfalls medizinisch und psychologisch untersuchen lassen, hauptsächlich um sicherzustellen, dass sie keinen Schaden anrichten oder Verbrechen begehen. Das US-amerikanische System verdient reichlich Kritik, aber Behindertenaktivisten auf beiden Seiten der Grenze sind sich einig, dass die kanadische Einwanderungspolitik in dieser Hinsicht wesentlich restriktiver ist. Ja, Trump denkt sich neue Restriktionen für Einwanderer aus, währendem Kanada seine Offenheit bewirbt. Aber wie viele Asylsuchende, die in der Annahme Schutz zu bekommen von den USA aus nach Kanada ausweichen, werden dort abgewiesen, weil sie eine Behinderung haben? Idealisieren wir kein Land, dass an der ableistischen, in der Eugenik verwurzelten Idee festhält, , dass irgend ein Mensch eine "übermässige Belastung" darstellt.

Übersetzt aus dem Englischen von David Siems / Quelle der Nachricht: The Washington Post